Urtextperle SYNEIDESIS - das Gewissen

Eigentlich schade, dass wir Deutschsprachigen für Gewissen "Ge-wissen" anstatt "Mit-wissen" sagen. Conscience beziehungsweise "con-science" ist für den Engländer und den Franzosen einfacher zu verstehen, falls er der sprachlichen Zusammensetzung des Wortes auf den Grund gehen möchte: "con" heisst "mit" und "science" Wissen,Wissenschaft. Darum ist con-science nahe am griechischen Urwort SYN-EIDESIS. SYN-EIDESIS heisst "mit-wissen", genauer noch: etwas "zusammen gewahren". Das griechische Verb SYNEIDOO kommt von EIDOO, welches wiederum aus dem Grundwort HORAOO, "sehen" herkommt. Unser Gewissen weiss, gewahrt (sieht), was wir wissen. Und erinnert uns zum Beispiel daran, wenn wir uns etwas Gutes vornahmen und uns später aber entgegengesetzt verhalten. Dann sagt uns das Gewissen: "Hei, du, ist das richtig so? wolltest du das nicht anders machen?". Das Gewissen spricht uns oft mit "du..." an. Wir antworten innerlich mit "ich..." - und schon entwickelt sich ein Gespräch, das uns Paulus im Römerbrief 2,15 erklärt. Dort redet er von unseren Gedanken, die sich entweder verklagen oder entschuldigen - ein typisches Gespräch mit unserem Gewissen. Zurück zum griechischen Wort EIDOO: Sehen, gewahren. Verfolgen wir diese Wort-Spur weiter, landen wir bei unserem Lehnwort "Idee". So erinnert uns das Gewissen an "Ideen oder Vorsätze" aus unseren Lebensbereichen und wacht über deren "Einhaltung". Machst du was anderes, als das Gewissen weiss, musst du es ihm begründen, um innere Ruhe zu finden.
Das ist die Grundidee zum Thema Gewissen. Das Gewissen ist nicht a priori Gottes Stimme wie so oft postuliert wird, sondern die Stimme unserer Lebensprägung und deren Vorsätze. Aber - das Gewissen kann Gottes Stimme unterstützen! Das geschieht, wenn das Gewissen an Gottes Wort "gebunden" ist, d.h. sich an Gottes Wort orientiert und dann die oben aus dem Römerbrief 2,15 erwähnten "verklagenden oder entschuldigenden" Gedanken auf Grund des Glaubens an Gott geschehen. Das Gewissen ist mit dem Glauben wachstümlich eng verbunden. Paulus erinnert seinen geistlichen Sohn Timotheus (1.Tim.1,19) an diese lebenswichtige "Schifffahrt" des Glaubens mit einem GUTEN Gewissen. Er erwähnt auch die Gefahr einer Gewissensverhärtung (1.Tim.4,2) und gebraucht einen starken Vergleich dazu: verhärtet wie mit einem glühenden Eisen, das dem Gewissen ein Brandmal einbrennt und es somit unempfänglich für empfindsame Regungen macht. Paulus bezeugt für sein eigenes Leben, dass er sich "streng übt ("ASKO", verwandt mit "ASKESE") vor Gott und den Menschen ein unverletzt (eigentlich "unanstössig") Gewissen zu haben (Apostelgeschichte 24,16). Und falls wir mit schweren inneren Gewissenskämpfen zu tun haben sollten, kann uns eine Ermutigung des Apostels Johannes helfen. Seltsamerweise erwähnt er - als der vielleicht "feinfühligste" Jünger von Jesus - das Wort "Gewissen" nie in seinen fünf Schriften im NT ( Johannesevangelium 8,9 wird es zwar in der Luther Übersetzung erwähnt, steht aber nicht in den ältesten Handschriften). Johannes scheint mit dem Wort "Herz" (KARDIA) das Wort "Gewissen" (SYNEIDESIS) auszudrücken. Denn er schreibt uns sinngemäss in seinem 1. Brief, Kapitel 3,20-21: Wenn unser Herz uns verurteilt, ist Gott (stets) grösser als unser Herz. Er weiss alles, versteht alles (aus der Tiefe unseres Herzens, das eigentlich das Gute suchte) und schenkt uns dann einen befreienden Austausch (PARRESIA) mit ihm.

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