Brief des Philemon an Paulus (*1)
Philemon (*2), der Geliebte von Christus Jesus und euer Mitarbeiter, dem gefangenen Paulus und dem Bruder Timotheus. Gnade und Friede sei Euch von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.
Geliebter Bruder! Wenn Du diesen Brief liest und vorliest, habe ich Dir Deinen Wunsch erfüllt, Du siehst ihn vor Dir stehen: Onesimus, wie er leibt und lebt! Diesen Wunsch hattest Du - meiner Meinung nach - ziemlich offen in Deinem Schreiben an mich formuliert. Du schriebst: “Denn ich wollte ihn gerne bei mir behalten, dass er mir an Deiner statt diente in meiner Gefangenschaft um des Evangeliums willen.”
Nach einigen Überlegungen - auch wegen rechtlicher Aspekte - kam ich zur Überzeugung, Onesimus wieder zu Dir zurückzusenden. Apphia (*3) unterstützte mich dabei. Archippus (*4) hatte vorerst Bedenken, schwenkte aber auf meine Absicht auch ein. Nun ist Onesimus wieder bei Dir. Er übergab Dir diese meine Briefantwort an Dich …
Onesimus - Ende gut, alles gut? Für ihn wohl Ja - er ist wahrlich in seiner Bestimmung angekommen. Dass Du ihn 'mein Innerstes' (*5) nennst, spricht nicht nur für Dich, sondern besonders auch für ihn...Diese Aussage spricht mich sehr an. Ich möchte später in diesem Brief nochmals darauf zurückkommen.
Für mich, für unsere Hausgemeinde und für unsere grosse Gemeinde in Kolossäa sieht es weniger gut aus, besonders was die Stellung von Archippus angeht. Ich gehe darauf später nochmal genauer ein.
Es sind durch Onesimus' Verhalten und Bekehrung hilfreiche Denkanstösse freigesetzt worden, die aber auch Fragen und Unsicherheiten hinterliessen.
Von all diesem wirst Du nun in meinem Brief lesen und Dich sicher damit auseinandersetzen; und auf Deine Reaktion und Klärung bin ich, ja, sind wir alle sehr gespannt.
Aber nun der Reihe nach …
Du kannst Dir vorstellen, wie wir alle schockiert waren, als Tychikus und Onesimus ankamen ... Nach dem anfänglichen Erstaunen über Gottes Wege folgte bald das Wechselbad der Gefühle. Die Freude über seine Rückkehr und zugleich das Bedürfnis vermischte sich mit dem Bedürfnis, die Gründe seiner Flucht zu erfahren. Wiedersehensfreude stand auch Ablehnung gegenüber. Meinungen zum Thema Rechtsprechung und mögliche Strafe, aber auch Vergebung und Wiedereingliederung dominierten die Gespräche in unserer Hausgemeinschaft. Unsere Persönlichkeiten, unsere Charaktere (*2 -*4) prallten aufeinander, erneut angefacht durch die Rückkehr von Onesimus. Auch ich musste neu überdenken und wurde hinterfragt in meiner Gesinnung. Zu den Umständen in meinem Haus kamen die Reaktionen aus der grossen Gemeinde in unserer Stadt Kolossäa. Archippus als Bindeglied beider Gemeinschaften hatte wegen Onesimus nun noch mehr zu tun und nahm Deine Ermahnung sehr ernst. Ich zitiere sie Dir zu Deiner Erinnerung:
"Siehe auf das Amt, das Du empfangen hast in dem Herrn, dass Du es ausrichtest".
Dies löste eine neue Hingabe von Archippus aus.
Der Versöhnungsprozess nach einem ersten Gespräch zwischen Onesimus und mir setzte sich später mit Apphia und Archippus und den Geliebten der Hausgemeinde fort - nachdem alle seine Geschichte gehört hatten. Er konnte die Schrecken und die Nöte seiner Flucht als 'vogelfreier Sklave' in unserem gesamten römischen Reich gut darstellen (*6). Ich muss ihm zugestehen, dass er dabei sehr einfühlsam Rücksicht auf die Anwesenden nahm.
Als er erzählte, wie Ihr euch gefunden habt im Präteritum, über das Wunder Gottes dieser Begegnung und dann Deine Fürsorge für ihn, da blieb kein Auge der Zuhörer trocken. Er berichtete natürlich auch seine Geschichte in der Gemeinde in Kolossäa ... Die Gläubigen lobten Gott von ganzem Herzen dafür. Einige Gäste wandten sich anschliessend sogar dem Glauben an Jesus Christus zu. Du hättest sicherlich grosse Freude gehabt!
Nun zurück zu Deinem Brief. Du erwähnst schwerwiegende Wahrheiten neben Deinen Scherzen. Gut so; doch Deine Formulierungen haben mich traurig gemacht. Du schreibst: "Wenn du mich nun für deinen Freund hältst, so ..." Ich sah Dich stets als meinen geliebten Freund und Bruder im Herrn. Dazu noch als meinen geistlichen Vater. Wozu dieser Hinweis?
Ich bin tief berührt und sehr dankbar, dass Du Dich so im Gebet für mich einsetzt. Du lobst mich für die Liebe und den Glauben, den ich Deiner Meinung nach habe für unseren Herrn Jesus und alle Heiligen in meinem Umfeld. Danke für die Blumen, Bruder! Der Herr allein weiss, wie ich's meine und was ich von ihm und über ihn weitergeben möchte. Es ehrt mich, dass Du Deinen Glauben und meinen Glauben in einem Zug nennst und die Übereinstimmung dabei betonst: “Der Glaube, den wir miteinander haben, werde in Dir kräftig in Erkenntnis all des Guten, das wir haben, für Christus.”
Doch Hand aufs Herz: Wie könnte ich Deinen tiefen, alles überwindenden Glauben mit meinem vergleichen? Aber recht hast Du natürlich darin, dass mein Glaube kräftig werden soll - Du verwendest dafür das ermutigende Wort 'innenwirkend, energetisch'. Ich verstehe Dich so, dass mit dem Glauben 'Energie' freigesetzt wird, die sich wiederum in der 'Epignosis' , einer Art 'zusätzlichen Erkenntnis' zeigt. Das ist für mich nicht klar ersichtlich. Du ergänzt noch, es handle sich 'um alles des Guten, das in Christus sei'. Meinst Du: 'Er in uns und wir in ihm' und somit 'all sein Gutes' auch in uns?
Ach, lieber Paulus, was immer Du damit meinst, Du ermutigst mich. Danke; doch habe ich Schwierigkeiten, solche Aussagen von Dir mit anderen in Einklang zu bringen. Hattest Du nicht öfter in unseren früheren Gesprächen betont, ich zitiere Dich aus Deinem bekannt gewordenen Brief an die Römer: “Denn ich weiss, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes. Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht.”
Ja, ich weiss, Du hattest solche Aussagen dann doch nicht 'einfach so' stehen lassen. Du fandest immer einen Weg das Gesetz der Sünde dem Gesetz des Geistes gegenüberzustellen und den Sieg Christi zu propagieren!
Noch einmal zu Deinem Lob meiner Liebe. Wie gut es tut, dies von Dir zu lesen: 'Wir haben aber grosse Freude und Trost an deiner Liebe."
Ich gestehe Dir, dass ich nicht viel davon bemerkte. Ich soll das Innerste der Heiligen 'erquickt' (*7) haben, genauer gesagt: 'hinaufberuhigt', 'zur göttlichen Ruhe' gebracht haben. Wenn es denn so war, ist's natürlich gut so; ich tat es gerne. Du betonst Deine Freude darüber, ich danke dem Herrn dafür.
Nun zu Deiner Fürsprache für Onesimus. Du fährst mit Deinen Worten voll ein, mein lieber Paulus. Wäre es nicht sanfter möglich gewesen? Du schreibst: "Mit meiner grossen Freiheit in Christus kann ich allezeit reden, was mir recht scheint. So könnte ich Dir geradeheraus das mir Notwenige anordnen; doch um der Liebe willen ermutige ich Dich nur - und das als ein alter Paulus - der zudem ein Gebundener von Jesus Christus ist. Es geht um mein Kind Onesimus, den ich in diesen Banden gezeugt habe."
Ich finde, Du hättest mir dies auch einfacher sagen können. Du kennst mich. Ich lese doch auch 'zwischen den Zeilen'. Dein Anliegen, Dein Herzenswunsch, ist schnell erkennbar. Warum setzt Du noch einen Schwerpunkt hinzu, indem Du auf Dein Alter, auf Dein Alt- Sein hinweist? Ist Deine Autorität denn altersabhängig? Wie soll ich dies verstehen? Als Hinweis auf Deine Schwäche wohl kaum, denn: 'Wenn ich schwach bin, bin ich stark'.
So hattest Du die Korinther gelehrt und mich ebenso. Du suchst doch kein Mitleid? Zumal Du Dich als 'ein Gebundener Jesu Christi' darstellst. Paulus, alt bist Du in meinen Augen nur als 'alter' Freund, zumal unsere Freundschaft schon seit Jahren besteht! Ich will Deine Rede nun so verstehen, dass bei allem, was Onesimus angeht, Du Dich in innerer Aufgewühltheit befindest.
Deine Gedanken drehen sich - besonders in Deinem Brief an mich - stark um Onesimus. Deine Wortspiele mit 'unnützlich und nützlich sein' sprechen mich sehr an. Ich könnte jetzt 'polemisch' mit der Frage reizen, ob ein Mensch grundsätzlich 'unnützlich' sein kann; doch kenne ich Deine liebevolle Haltung allen Menschen gegenüber und verzichte darauf.
Unseren Gemeindegliedern in Kolossäa wurden Deine Aussagen “Christus in euch ist die Hoffnung der Herrlichkeit” wiederholt vorgetragen und ergänzt mit "wir stellen jeden Menschen vollkommen in Christus Jesus dar".
Das prägt sich ein. Übrigens verbindest Du das 'nützlich und unnützlich' sein von Onesimus mit einem sehr persönlichen Hinweis, der mich tief beeindruckt. Ja, viel mehr, mich an die Grenze meiner Vorstellung, meines Verständnisses, bringt. Du nennst Onesimus Dein 'eigenes Innerstes' mit der sprachlichen Betonung des 'eigenen'. Wenn du gestattest, möchte ich den Bogen etwas weiter spannen: Da in unserer griechischen Sprache dieses 'Innerste' allgemein ein tiefsitzendes Gefühl ausdrückt und erst in besonderer Betonung auch auf die real existierenden Eingeweide hinweist, fiel mir erst beim wiederholten Lesen Deines Briefes eine noch tiefere und noch persönlichere Facette auf: Du identifizierst Dich uneingeschränkt mit Onesimus, so als ob er in Dir drinnen als Person im Bilde Deiner Eingeweide mitlebte! Beim weiteren nachsinnieren konnte ich es mit der Körperschaft des Christus vergleichen: Das Haupt Jesus und wir Gläubigen die Glieder, ein jedes Glied als Teil des gesamten Körpers.
Da ich nun Christus und seine Körperschaft erwähnte, bin ich bei einem Thema angekommen, das Du sehr stark betonst. Das Haupt Jesus Christus ist für seine Glieder da und stimmt sie geistlich so aufeinander ab, wie es in unseren Körpern auf natürliche Weise geschieht. Und die Glieder wiederum sind in ihrer Funktion voneinander abhängig. Einer ergänzt oder ersetzt sogar den anderen, je nach Bedarf.
Verzeih, dass dies wie eine Belehrung des Lehrers durch den Schüler daherkommt. Aber Deine Aussage: “Denn ich wollte ihn bei mir behalten, dass er mir an Deiner statt diente in den Banden des Evangeliums” erstaunt mich sehr, welche Stellung ich in Deinen Gedanken innehabe! Ich 'in den Banden des Evangeliums', als Gebundener neben Dir: Welch eine Ehre. Diese Ehre darf nun - gemäss Deinem Wunsch - Onesimus zugutekommen. Du hast solches bislang nicht durchblicken lassen, geschweige denn klar ausgedrückt. Ich stelle mir nun vor, Du hättest mich anstatt von Onesimus vor Dir. Ich würde Dir an seiner statt dienen und nicht er an meiner statt.
Wäre dies eine ebenso grosse Freude für Dich? Ich weiss, ich töne kindlich - wie ein vernachlässigstes Kind neben dem vorgezogenen Bruder in einer Familie. Du kennst mich so gut und ich sehe im Geist ein Schmunzeln in Deinem Gesicht; und natürlich nimmst Du mich ernst. Das zeigt der zusätzliche Satz in Deinem Brief: “Aber ohne Deine Meinung noch ohne Deinen Willen wollte ich nichts tun, damit Dein Gutes nicht wäre genötigt, sondern freiwillig.”
Danke, das bist Du. Direkt, unverblümt und einfühlsam. Du würdest keinen Menschen in der Ausübung seiner freien Persönlichkeit einschränken oder gar zu eigenen Zwecken steuern.
'Dein Gutes' schreibst Du. Darauf muss ich genauer eingehen. Was immer auch 'mein Gutes' sei - ich erwähnte es ja vorher schon - dieses Gute dürfe auf keinen Fall genötigt sein, aus irgendeinem Zwang geschehen: Nein, es muss unbedingt 'freiwillig' sein. Danke, das ist gut so; aber das Wort 'freiwillig' beschäftigt meine Überlegungen schon lange. Was ist eigentlich 'freiwillig'? Ich empfinde allein schon den Ausdruck, die Anwendung desselben als problematisch. Wir gebrauchen es alle oft in alltäglichen Zusammenhängen, ohne uns einer tieferen Bedeutung bewusst zu sein.
Was tue ich schon wirklich freiwillig aus ureigenem Willen, aus freien Stücken? Stecken wir nicht alle in irgendwelchen Zwängen, oft in vielen kleinen und manchmal auch in einem grösseren Zwang? Besonders nach Deinem Brief wollte ich Freiwilligkeit besser verstehen und nahm unser griechisches Wort 'freiwillig' (*8) unter die Lupe: Meinen wir nicht dabei 'frei-heraus-sein' ? Dürfte man somit bei Freiwilligkeit 'aus einem erwarteten Verhalten herauskommen' und das tun, was man wirklich will? Sehe ich das richtig, dass dann Entscheidungen mehr aus meinem echten 'Sein' , mehr aus meinem echten Wesen und Willen kämen als aus meiner Vernunft und Einschätzungen?
Lieber Paulus, mit diesen Gedanken zeige ich Dir auch, dass es meine echte freiwillige Handlung war, als ich Dir Onesimus zurückschickte.
Du hast mich - wie Du an meinen Antworten siehst - ziemlich herausgefordert mit einigen Aussagen in Deinem Brief. Du vermischst spezifisch an mich gerichtete Bemerkungen mit Deinem Verständnis der göttlichen Dinge. Deine Briefe an die Gemeinden nah und fern festigen viele Gläubige, wie auch bei uns in Kolossäa. Allgemein gültige Wahrheiten - wie zum Beispiel Deine Ausführungen über die Äonen - überträgst Du nun persönlich auf meine Situation mit Onesimus. Du schreibst: “Denn deshalb ist er schnell eine Stunde von Dir getrennt worden, damit du ihn äonisch hättest...”
Deine Wortwahl 'schnell' könnte ich auch als 'vielleicht' lesen, was unsere Sprache ebenso zulässt (*9). In welcher Weise du es auch immer verstanden haben möchtest: Es hat meine Gedanken beschäftigt. Ich möchte die Gelegenheit dieses Antwortbriefes an meinen geistlichen Vater nützen, um etwas weiter 'auszuholen'. Es geht mir um das Thema 'Beziehungen' auf verschiedenen Ebenen: Wie beeinflusst der jetzige Äon beziehungsmässig die kommenden Äonen?
Fangen wir mit Onesimus an. Ich sehe ihn nun in einem anderen Licht. Er steht mir plötzlich ganz 'anders' nahe. Er wurde zu einem Menschen mit dem ich in einer Agape-Liebesbeziehung stehe, also meinen Glauben teilen kann. Oder über meine ganz persönliche Hoffnung sprechen kann, über meine Erwartungen für diesen und den nächsten Äon.
Onesimus tat seiner Namensbedeutung 'nützlich' keine Ehre und floh als 'unnützer' Sklave und ich 'verlor' ihn. Wir alle verloren ihn in der Hausfamilie. Er kam zurück als gläubiger Sklave, in den Alltag meines Lebens. Nun werden wir - wie Du sagst - äonisch verbunden bleiben. Jetzt, in diesem Äon, noch als Sklave, aber auch als Bruder. Im kommenden Äon dann nur als Bruder im Herrn. Umfasst der Begriff 'Äon' in diesem Sinne nicht alle Zeiten?
Du schreibst: "...damit Du ihn äonisch hättest" Und Du betonst zudem: “... nicht länger als einen Sklaven, sondern mehr als einen Sklaven, nämlich als einen geliebten Bruder.” In Deiner Erwähnung des 'mehr' steht eine breite Möglichkeit einer erfüllenden Beziehung. Darauf freue ich mich.
Mit diesem äonischen Ausblick kann ich meine Gedanken von Menschen in der Nähe wie Onesimus auf Menschen in der Ferne erweitern. Sogar auf jene, die Du in Deinen Briefen erwähnst und an die ich gerne denke - wie gerade an Onesiphorus (*10).
Timotheus hatte viel von ihm gehört, als er in Ephesus diente. Onesiphorus' Treue zu Dir wurde mir zu einem Vorbild, obwohl ich ihn nicht persönlich kenne. Nun scheint er verstorben zu sein (*11). Wirkt er nun weiter im Jenseits - schon in diesem Äon? Sicher werde ich ihn im nächsten Äon kennenlernen, vielleicht sogar tiefer als andere, weil ich jetzt schon eine erwartungsvolle Beziehung zu ihm habe? Du schreibst den Korinthern in Deinem ersten Brief an sie: "Nun aber bleiben Glauben, Hoffnung, Liebe, diese drei".
Allgemein gesehen gehe ich davon aus, dass die ganze Menschheit vom Schöpfer ausging und zu ihm zurückkehrt. Alle waren, sind und bleiben immerwährend mit ihm und untereinander verbunden. Und somit werden sich auch alle sehen können und - durch Jesus, dem Haupt des Körpers, eine Beziehung aufbauen, die 'mehr' als eine 'funktionelle' Körperschaft wäre.
Sehe ich das richtig lieber Paulus, dass die äonische Körperschaft Jesu Christi mehr in Beziehungen als in Funktionen besteht und stets weiter wächst in Liebe, Glauben und Hoffnung (*12)? Und dass wir uns auch in diesem Sinne nicht nur als einzelne Glieder, sondern als Gemeinde gemeinsam auf das äonische Leben freuen dürfen? Du schriebst den Römern: “Denn keiner von uns lebt und stirbt sich selbst. Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.” Dies ist ein gewaltiges Wort von Dir (*13). Es verbindet Leben und Tod in Gott und - meinem Verständnis nach - auch in seinen Menschen.
Aber wie und wozu geschieht das 'äonische Wiederhaben' in persönlichen und gemeinsamen Aufgaben? Ich habe zwar viel gelernt, es reizt mich jedoch noch "mehr' zu erfassen von Christi Absichten für uns.
Ich rechne fest damit, Dich bald wieder zu sehen. Dann können wir in unseren Gesprächen auf viele meiner Fragen zurückkommen; und Du wirst meine geistlichen Spekulationen wieder auf feste Grundlagen stellen können. Du weisst ja, dass Deine Briefe überall zirkulieren. Auch solche, die Du an eine spezifisch ausgerichtete Leserschaft verfasst hattest - wie zum Beispiel das Schreiben an die Hebräer. Ich Glücklicher fand in Kolossäa eine Abschrift davon. Während einer öffentlichen Lesung bemerkte ich, dass einige Aussagen darin von den Gläubigen hier vermutlich nicht gleich stark empfunden wurden als von den Gläubigen in und um Jerusalem. Aber mich reizten einige Sätze, besonders die zum Thema 'äonisches Gericht' und 'die Kräfte des zukünftigen Äons (*14)' ... Ich suche sie in meinem Alltag und erhoffe mir, mehr über diese Kräfte zu erfahren und sie mit Dir zu prüfen.
Nun äussere ich mich noch etwas verunsichert und verwundert doch zu einer Sache, die du sehr 'rechtlich' im Brief angehst. Dies ist ja ein wirklich 'privater' Antwortbrief' an Dich und ich kann offen an Dich schreiben - ohne Furcht vor rechtlichen Konsequenzen. Du schneidest das Thema indirekt an, als Du Dich als Teilhaber zwischen mir und Dir in 'Sachen Onesimus' benennst. Und noch genauer: Als Du von 'Schulden' sprichst. Von Schulden wie in einem Gerichtsfall, die offen gelegt würden. Du schreibst: "Wenn er aber Dir Schaden getan hat oder schuldig ist, so rechne es mir an".
Und Du betonst in ziemlich starker Weise noch dazu: “Ich, Paulus, habe es geschrieben mit meiner Hand, ich will es bezahlen.” Aber lieber Freund, darf ich nach dem Anlass für diese förmliche Tonlage fragen? Ich stehe Dir doch nicht in einem Schadensfall gegenüber! Onesimus hat mich nicht geschädigt. So musst du auch nichts 'erstatten'. Ich habe auch keine öffentliche Anklage gegen Onesimus vorgebracht! Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, so etwas zu erwägen. Es erstaunte mich, dass Du Dich wie vor Gericht aussprichst. In Rom war es natürlich anders. In Rom, in Eurem kaiserlichen Gefängnis, war der Staat in seiner ganzen maroden Gerichtsbarkeit offenbar, also mit vielen keiner wirklich gerechtfertigten oder gar bewusst ungerechten Anklagen. Ich leide darunter, dass unsere kaiserliche Monarchie oft willkürlich 'regiert' wird! Mit diesen Aussagen bewege ich mich auf schwierigem Terrain. Die Sprache des Rechts vermag nicht das zu berühren, was die Sprache des Herzens offenbart.
Hattest Du wirklich Zweifel, ob ich auf Deine Ausführungen zu Onesimus 'einsteige'? Auch mir blieb das nicht verborgen bei Deiner anfangs unterschwellig vorgebrachten, dann stets offener zutage kommender Anfrage um ihn. Nach Deinem Ermessen dürfte weder der Zweifel selbst noch dessen mögliche Folgen in Erscheinung treten. Darum doppelst Du nach: "Ich schweige, dass Du Dich selbst mir schuldig bist".
Natürlich bin ich 'in Deiner Schuld'. Durch Dich entdeckte ich Gottes Gabe, die Vergebung meiner Sünden und den rettenden Glauben an unseren Herrn.
Aber Du hättest diesen 'absichernden' Hinweis nicht nötig gehabt bei mir. Erscheint es Dir im Rückblick nicht ebenso? Deine direkt daraufhin ausgedrückte Bitte um Onesimus dagegen empfand ich als eine Art 'literarischen Höhepunkt' des Herzens..Worte der Freude. Sie machten alles wieder 'gut' bei mir - indem du sie so feinfühlig offen und zugleich versteckt geschrieben hattest…
Wie meine ich das 'versteckt' geschrieben, fragst Du Dich vielleicht? Du bist sprachlich gegen Ende deines Briefes noch einmal auf Onesimus eingegangen - ohne Seinen Namen zu nennen. Du hattest in Deinem Brief an mich (und an die Hausgemeinde) von Beginn an klargemacht, dass Onesimus der Hauptgrund des Schreibens war. Das lag auch auf der Hand, war doch Onesimus selbst der Überbringer. Du betontest sofort: Schaut, Onesimus der 'Nützliche', kommt in seine Hausfamilie zurück! Mehr noch, er würde somit auch in die einst verlorene Berufung seines Namens zurückkommen. Das war sehr klug, finde ich. Es bahnte dem 'verlorenen Haussohn' den Weg zurück zur Familie vor aller Ohren.
Dennoch war Dein Brief ja ein sehr persönlicher Herzensbrief an mich. In deinen Schlussworten gelang es Dir, Herz und Grund geschickt zu vereinen. Du gebrauchst nämlich einen in unserem Sprachalltag nur selten verwendeten Ausdruck. Du schriebst: "Ja, lieber Bruder, gönne mir, dass ich einen Vorteil von Dir habe im Herrn. Erquicke mein Innerstes in Christus."
Wieviele Hörer beim Verlesen Deines Briefes merkten, dass 'einen Vorteil haben' auch 'einen Nutzen haben' heissen kann, weiss ich nicht (*15). Wichtig war, dass ich den versteckten Hinweis auf die sprachliche Verwandtschaft zu Onesimus, dem Nützlichen, verstanden hatte! Natürlich will ich dein Innerstes erquicken. Ich will es 'hinauf zu Gott beruhigen'. Darum liess ich Onesimus wieder zu Dir zurückkommen. Du bist mit meiner Neigung zu Wortspielen wohlvertraut. War das Deine Absicht, anstatt noch einmal den Namen von Onesimus klar zu nennen, Du ihn lieber im Ausdruck 'einen Vorteil haben' versteckt hattest? Falls Du noch anderes, sehr Persönliches damit meintest, werde ich es wohl erst bei Deinem nächsten Besuch bei uns erfahren. Ganz sicher wird dann Dein Gästezimmer bereitet sein. Natürlich beten wir für das 'Geschenk Deines Kommens'.
Noch etwas Erfreuliches las ich zum Schluss deines Briefes: "Ich habe Dir aus Zuversicht in Deinen Gehorsam geschrieben, und ich weiss, dass Du mehr tun wirst, denn ich sage". Deine Zuversicht berührte mich. Zumal Du mir mit Deiner Wortwahl von 'Gehorsam' eine grosse Ermutigung ausdrückt hattest:
Ich würde mit meinem Gehorsam (*16) die 'unterschwelligen' Töne deiner Aussagen verstehen und dementsprechend handeln. Schön, dass Du so von mir denkst. Offenbar liess sich dies im Umgang mit Onesimus nicht verwirklichen. Es mangelte mir an 'Gehorsam' im Feingefühl. Nachträglich sehe ich zu den Gründen seiner Flucht gewisse Ereignisse, die ich damals zwar hörte, aber mehr mit dem Verstand als mit dem Herzen verband.
Ich grüsse Dich mit dem Bruderkuss in der Gnade unseres Herrn Jesu Christi. Wir alle hier sind dankbar, im Geiste mit Dir verbunden zu sein.
Philemon
Fussnote (*1)
Was könnte Philemon an Paulus geschrieben haben? Lange genug haben Bibelmystiker auf eine mögliche Antwort gewartet...
Fussnote (*2)
Namensbedeutungen, Charaktere
PHILEMON
heisst 'liebreich, Liebhaber'. Möglich ist auch 'Küssender' oder 'Befreundender'.
War er der Verantwortliche der EKKLESIA in seinem Haus?
Oder war es ARCHIPPOS und PHILEMON eher der (vielleicht weiche, Harmonie bewahrende) Patriarch der ganzen Sippe um ihn?
Fussnote (3*)
APPHIA
Viele, z.T. widersprüchliche Bedeutungen,
Von APPHA abgeleitet:
1) Zärtlichkeits-Ausdruck zwischen Liebenden und zwischen Geschwistern,
Auch APPHIA und APPHION als Diminutiv.
Dazu APPHYS als Kosename für 'Papa' gebraucht (Hypokorismus).
Andere sagen zu Apphia 'Hervorbringende, Fruchtbare' vom hebr.Aphiach (1.Samuel 9,1) abgeleitet.
Die Bedeutungen sind 'erfrischt, erquickt, 'geweht', aber auch (auf)geblasen, angeschnaubt, unterdrückt.
Einige Ausleger sehen in ihr Philemon's Ehefrau, andere seine Schwester, andere einfach eine nahestehende Frau im Hause.
Fussnote (*4)
ARCHIPPOS
heisst 'Der erste unter/bei den Pferden, mit Beinamen der 'Streitgenosse' , der
Mitkrieger (SYSTRATIOTES).
Im Kolosserbrief 4, 17 erkennt man, dass er eine Gemeindeaufgabe hat:
Er soll den 'Dienst vervollständigen' (griechisch DIAKONIA).
Ist er ein Kämpfertyp, Durchsetzer, streng wie ein Ausbildner beim Militär?
Fussnote (*5)
SPLANCHNON, SPLANGCHNA, mit 'das Innerste' übersetzt, bedeutet eigentlich die 'Eingeweide'. Viele Menschen reagieren gefühlsmäßig intensiv durch ihre Bauchpartie und Verdauung. Genaueren Lesestoff dazu siehe www.xandry.ch , Rubrik 'Urtextperlen"
Fussnote (*6)
Sklaven auf der Flucht im römischen Reich.
(Folgender Artikel wurde mit KI erstellt.)
Entlaufene Sklaven im Römischen Reich um das Jahr 50/60 n. Chr. lebten in ständiger Gefahr. Sie galten als Eigentum ihres Herrn und hatten keinen rechtlichen Schutz. Wurden sie gefasst, drohten ihnen harte Strafen wie Auspeitschung, Folter oder sogar die Kreuzigung, wie es nach Sklavenaufständen üblich war. Um die Rückkehr zu erzwingen, setzten viele Herren sogenannte Sklavenfänger (Fugitivarii) ein, die gezielt nach entlaufenen Sklaven suchten und sie gegen Belohnung zurückbrachten. Oft trugen Sklaven Halsbänder mit der Aufschrift, dass sie im Falle einer Flucht zurückzubringen seien. Die Flucht brachte also meist keine wirkliche Freiheit, sondern führte zu einem Leben in ständiger Angst vor Entdeckung und brutaler Bestrafung.
Fussnote (*7)
Das griechische Wort hier heisst ANAPAUOO und gibt mit der Vorsilbe ANA die Richtung des Ruhens (PAUOO) an: Nach oben zu Gott hin, bei Gott, mit Gott zu ruhen.
Fussnote (*8)
Das griechische Wort für 'freiwillig' heisst EKOUSION und setzt sich aus den Silben EK (aus, heraus) und OUSION (vom Verb 'sein' abstammend) zusammen. Somit bedeutet es genau übersetzt: 'Aus dem Sein heraus (handeln)'. Eine verwandtschaftliche Nähe besteht zum Grundwort HEKOON, welches auch mit 'freiwillig' gebraucht wird, und mit 'wesenhaft' übersetzt werden kann.
Fussnote (*9)
'Schnell' oder 'vielleicht'? Das griechische TACHA bietet sich seltsamerweise zu beiden Möglichkeiten an. Die gängigen, meist guten Übersetzungen wie die Luther 1912 , die Elberfelder oder auch der englische King James Bibeltext entschieden sich für 'vielleicht'. Die sich am griechischen KOINÄ Text sehr präzise haltende Dabhar Übersetzung schreibt für TACHA 'schleunig' (im Sinne von 'schnell', siehe das deutsche Lehnwort 'Tachometer').
Fussnote (*10)
Der Text in 2.Timotheusbrief 1,16-18 erzählt von dem treuen Wirken des Onesiphorus in Rom und Ephesus. Freunde von Paulus - wie Philemon - hatten ihn eventuell gut gekannt (Vers 18).
Fussnote (*11)
Die Art der gesamten Textformulierung
lässt es zu, dass Onesiphorus mittlerweile verstarb.
Fußnote (*12)
Wer für 'Glaube, Hoffnung, Liebe' eine kurze, griechisch orientierte Wortvertiefung
lesen möchte, gehe auf www.xandry.ch und klicke die dortigen 'Urtextperlen' PISTIS, ELPIS, AGAPE an.
Fussnote (*13)
Genaues Zitat in Römerbrief 14,7-9
Fussnote (*14)
Diese Textgedanken weisen auf den Hebräerbrief 6,5 hin.
Fussnote (*15)
Paulus spielt mit dem Verb ONINÄMI. Es kann heissen: 'Einen Nutzen haben oder einen Vorteil haben' und verweist auf seinen innigsten Wunsch hin, den er nochmals als Schlusspunkt im Brief versteckt, aber geschickt ausdrückt. Er tut es mit der Klangverwandschaft zum Namen ONESIMUS, die ein feinfühliges, griechisch hörendes Ohr sofort heraushört: Ich bitte um ONESIMUS! Philemon ist nun im Zugzwang...
Fussnote (*16)
Das verwendete Wort für Gehorsam ist HYPOKOÄ und betont beim Gehorchen ein 'unterschwelliges Mithören'.