AGNOSTO ANTHROPO - Ein Brief (Teil 2)

Dem unbekannten Menschen.
 

Lieber Peter.
Mein Brief an Dich geht weiter. Wir hatten bisher  intensiv die Schnittstellen zwischen Gott-Mensch und Mensch-Gott betrachtet. Mit deiner anfänglichen Frage: "Wozu sind wir da?" machte ich mich auf den Weg zu verschiedenen Antworten mit den jeweils ausgesuchten Bibeltexten dazu. Ich teile nun weitere  Gedanken mit dir und lege weitere Schwerpunkte.
Ich möchte, mit anderen Blickwinkeln, bekannte Überlegungen in ungebräuchliche Denkbahnen lenken. Ich versuche, Gottes Gefühlslage zum Menschen hin zu eruieren - in dem schwachen Mass meines Verständnisses. Zur Erinnerung: als Leitmotiv fing ich in meinem ersten Brief an dich mit der Athener Altarinschrift "AGNOSTO THEO" an. Nun kehre ich die Aussage in "AGNOSTO ANTHROPO" um, dem unbekamnten Menschen.
Diese Fortsetzung meines Briefes wird mich auf den Weg zu unseren Sinnen führen. Ich hoffe, viele Entdeckungen mit Dir teilen zu können. Ich weiss ja, dass Du sehr daran interessiert bist...

Thematischer Überblick

ADAM, wo bist du ?

Michelangelos berühmtes Bild in der Sixtinischen Kapelle soll - gemäss der mir bekannten Lesart - den Schöpfungsakt darstellen. Es könnte jedoch auch als Beziehungsakt zu verstehen sein: Gott sucht Berührung zu Adam und dieser sagt "JA" dazu. Adam streckt sich aus zu Gott, öffnet sich ihm. Gott "sucht" den Menschen mit der Frage: "Adam, wo bist du?" (Genesis 3,9). Vielleicht sucht er ihn auch mit der Frage:
"Adam, wer bist du"?
Gott will nicht nur der Schöpfer des Menschen sein, sondern er will ihn verstehen, sich mit ihm vereinen.

Der griechische Philosoph EMPEDOKLES vertritt in seiner "Wahrnehmungslehre", dass von den Dingen ausgehende Ausflüsse in die Öffnungen der Sinnesorgane eindringen, wenn diese genau zusammenpassen: GLEICHES ALSO NUR DURCH GLEICHES ERKENNBAR IST. Ich übertrage dies auf die Seelenverwandschaft Gott/Mensch. Ihre beiden Seelen suchen sich. Sie gehören substanziell zusammen.

Peter, Du und Eveline hattet vor kurzem in einem Mail an mich auf diesen Aspekt hingewiesen...angeregt durch Apostelgeschichte 17,27: Der Mensch sucht tastend Gott, sucht Gott nicht auch tastend den Menschen?

Zurück zur Sixtinischen Kapelle: im Bildteil Gottes sind unpersönliche Engelchen um Gott herum abgebildet PLUS einem "richtigen" Menschengesicht. Ist dies ein Hinweis auf Gottes Menschsein?

"Der Mensch denkt, Gott lenkt." Ein bekannter Spruch. Ich ergänze: "Der Mensch denkt, Gott denkt mit - und lenkt." Siehe den Ausdruck METANOIEIN, mitdenken-mitsinnen, nachdenken-nachsinnen, umdenken-umsinnen: Die Aufforderung in Apostelgeschichte 17,30.

Von METANOIA gehe ich zu DIANOIA, dem "Denksinn", siehe 1.Johannesbrief 5,20. Dann freue ich mich auf die weiteren, biblisch erwähnten Sinne.

Die 5 Sinne.

Sehen - HORAO

Wir sehen auf mehrere griechische Worte für "sehen, erblicken" in einer ganz besonderen Geschichte. Es geht um einen Blinden, der Schritt für Schritt von Jesus von der Dunkelheit zum Blick in die Herrlichkeit geleitet wird (Markus-Evangelium 8,22-26).

Hören - AKOUO

Ich erkunde das natürliche Hörbare und das übernatürliche Unhörbare und dennoch Hörbare  (Apostelgeschichte 22,7-9).

Schmecken - GEUO

Spannend ist, wie dieser Sinn dem Menschen dient, ihn als Individuum bestätigt und auch zum "Geschmack" der geistigen Welt führt (Psalm 34,9).

Riechen - OZO

Der Geruch bringt vieles hervor und überbringt Botschaften und Erkenntnis zu Leben und Tod (2.Korintherbrief 2,14-16).

Tasten - PSÄLAPHAO

Der Tastsinn ist - meiner Meinung nach - der wichtigste und umfangreichste Sinn des Menschen (Apostelgeschichte 17,27). Seine Fähigkeit, Tiefe und Wirksamkeit sind faszinierend.

Nun bleibt noch der sogenannte "6. Sinn", die Intuition beim Menschen, der Instinkt beim Tier. (Jeremia 8,7). Anwendung und Missbrauch zeigen die Bandbreite auf. Interessant ist der Übergang vom Instinkt des Animalischen zur Intuition des Menschen. Oder auch bis zur möglichen Entwicklung in das Okkulte und sogar in eine Art des "prophetischen Sinnes".

Die thematische Übersicht konnte ich natürlich nur mit Stichworten angeben, Peter. Ich bin selbst gespannt auf das, was mir alles beim Schreiben und Forschen in den Sinn kommen wird.

Gottes Türen.

Manchmal wünschte ich mir etwas mehr Humor im Alltag. Ich weiss ja, Peter, dass du auch so denkst. Selbst bei gewichtigen Themata hilft ein lockerer Spruch zur besseren Aufmerksamkeit der Anwesenden. Stell dir vor, schon Horaz sagte: "Mische ein bisschen Torheit in dein ernsthaftes Tun und Trachten. Albernheiten im rechten Moment sind etwas Köstliches." Wie wahr. Man hat mich schon öfter einen "Sprücheklopfer" genannt. Auch das: wie wahr! Sehr gerne zitiere ich ganz besonders weise Sprüche - nämlich die von Salomon. Dort steht zum Beispiel: "Glückselig der Mensch, der auf mich hört, indem er an meinen Türen wacht Tag für Tag, die Pfosten meiner Tore hütet" (Sprüche 8,34). Diese Aussage kommt aus der Weisheit Gottes - mit der Stimme einer Person. Ich fühlte mich tatsächlich glückselig, als ich dies auf unsere Sinne übertrug. Könnten nicht die Sinne Gottes Türen zu unserem Empfinden und Verständnis sein?
Für mich ein gutes Bild: Gottes Weisheit will durch sie zu uns eintreten. Aber sie kommt nicht einfach herein. Sie klopft an, wie ein Besucher. Und wenn ich nicht aufmerksam reagiere, bleibt sie vor der Tür stehen oder geht weiter.

Der Gesichtssinn, das Sehen.

Zum Seh-Sinn gibt es viele gute Publikationen und Erklärungen. Die können wir bei spezifischem Interesse umfassend finden. Ich will aber das Sehen mit besonderen Gedanken zwischen Gott und dem Menschen aufzeigen. Und dabei den Reichtum an Bibel-Griechischen Ausdrücken zum Thema "sehen" ausreizen.
Eine gewisse Geschichte eignet sich am Besten  dazu. Schauen wir sie uns an:

Das Sehen, die Tür Gottes.

Jesus heilte viele Blinde. Meistens "einfach so", wie im Vorübergehen. Jedoch gibt es diese eine  Geschichte, die aus allen heraussticht: Eine Heilung in Sehstufen. Viele Aspekte des Sehsinns kommen dabei vor. Mit Worten über das Sehen, die tiefer blicken lassen.
Aber, um dies gut zu erkennen, müssen wir Schritt für Schritt der Heilung folgen, die der Evangelist Markus berichtet, im Kapitel 8, in den Versen 22 bis 26.

Verschlossene Augen-Tür.

Es war einmal ein Blinder in Bethsaida. Er hatte aufmerksame, ihm wohlgesinnte Menschen um sich herum. Als eines Tages Jesus ins Dorf kam, baten sie ihn, dass er den Blinden anrühren sollte. Jesus tat es. Er legte seine Hand auf ihn und...heilte ihn nicht. Er führte ihn aus dem Dorf heraus. Hatte das seinen Grund in der folgenden, außergewöhnlichen Aktion, bei der  Jesus lieber keine Zuschauer dabei haben wollte? Er spuckte nämlich dem Blinden ins Gesicht! (Das ist ein absolutes no-go im Orient, viel mehr noch als bei uns. Wenn ich mir das bildlich vorstelle, bleibt mir gerade "die Spucke weg")! Jesus spuckte ihm in sein OMMA (Angesicht). Dies ist ein Ausdruck, der nur hier im ganzen Neuen Testament vorkommt. Die Wortverwandtschaft weist über den Zusatzbegriff OPTANOMAI (siehe das deutsche Wort "Optiker"!) zum Hauptbegriff des Sehens hin, zu HORAO (siehe "Horoskop"!). Die Wortwahl zeigt, dass der Blinde die Augen weit offen hatte, als Jesus hineinspuckte. Offene Augen - und doch dem Sehen verschlossen...ähnlich wie  bei den geistig blinden Pharisäern, die mit offenen Augen dennoch nicht das Naheliegende sahen (Johannesevangelium 9, 39-41)?

Die Tür öffnet sich langsam.

Äußerlich offen, innerlich noch geschlossen. Jedoch wurden nun des Blinden Augen zum Sehen vorbereitet. Es fehlte nur noch der Auslöser, die Berührung, damit die Heilkraft Gottes eingehen konnte. Das geschah mit der Spucke von Jesus, also mit etwas, das er aus seinem Inneren herauskommen liess. Zudem verstärkte er die Berührung mit seinen Händen. "Erblickst (BLEPEIS) du etwas"? fragte ihn Jesus. Nicht: "siehst (HORAO) du etwas?". Mit den Augen zu erblicken (BLEPEIN), ist wie mit den Händen zuzugreifen. "Blicken" ist zielgerichteter als "sehen". Darum sollte der Blinde das Blicken  "ergreifen". Er tat es. Denn "aufblickend" (ANA-BLEPSAS) sagte er: "Ich erblicke (BLEPO) Menschen", die wie Bäume wandeln". Was erblickte er? Bäume, die herumlaufen oder sich bewegende Menschen, die ihm wie Bäume erscheinen? Natürlich nimmt  man sofort die zweite Aussage an...aber ich wage einmal, der ersten Aussage nachzugehen, Peter.
ANA-BLEPSAS hat die Vorsilbe ANA (auf,hinauf) zu BLEPSAS (blicken). ANA kann nicht nur "mit einer Kopfbewegung aufblicken" bedeuten, sondern könnte auch einen geistigen Vorgang andeuten: "Zum Himmel aufblicken, mit einem himmlischen Bezug ins Reich Gottes blicken."

Der Türspalt erweitert sich.

Es war durch die prophetischen Lesungen in der Synagoge bekannt, dass Jesaja Menschen im Königreich Gottes beschrieb und sie "Bäume der Gerechtigkeit" nannte und "Bäume, die freudig in die Hände klatschen" (Kapitel 61,3 und 55,12). Der Blinde in Bethsaida blickte nicht nur "auf", sondern blickte zudem "hinauf" - in die unsichtbare Welt. Er erlebte nicht nur eine außergewöhnliche Stufenheilung, sondern blickte dabei auch weit in die Zukunft. Wie das? Lesen wir weiter, Blick für Blick: Jesus legte nun seine Hände noch einmal auf die Augen. Nun berichtet Markus, dass der Blinde plötzlich hindurchblickte, buchstäblich "hindurchblickte". Es wird dafür der Ausdruck DI-E-PLEPSEN verwendet. Das ist ein mit DIA (durch) und BLEPEIN (blicken) zusammengesetztes Wort. Wo blickte der - offenbar nun sehende - Mann durch, wohin blickte er, was erblickte er?

Die Tür geht auf, weit auf.

Es wird uns nicht gesagt, was genau er erblickte. Aber es wird betont, dass er "vollständig wiederhergestellt" wurde. Und nun wird es klarer: Es geht um viel mehr als "nur" um die Heilung von Blindheit. Denn hier wird das griechische Verb APEKATESTE gebraucht, das auf die vollständige Herstellung aller Dinge im Königsreich Gottes hinweist. (Man vergleiche zu diesem Thema mit der APOKATASTASIS, der Wiederherstellung in Apostelgeschichte 3.21)!
In diesem Zustand bekam der Mann noch einen weiteren Einblick (EN-EPLEPEN) und er erblickte alles, wirklich alles (HAPANTA) in einem zukünftigen glänzenden Zustand (TELAUGOS).

Welch' eine Geschichte, welch' ein Reichtum an Sehprozessen, welch' eine Zuwendung Gottes an einen einst in Dunkelheit lebenden Menschen!
Welch' eine tiefe Berührung muss diese Sinnesöffnung auf den einst blinden Mann gehabt haben! Jesus schickte den Mann nach der Heilung nach Hause. Er sollte in der Stille alles verarbeiten und nicht in das Dorf zurückgehen und das Erlebte "zerschwätzen".

Das Sehen ist wohl die Sinnestür im Leben, durch welche uns die meisten bewusst wahrgenommenen Eindrücke vermittelt werden. Körper und Seele reagieren sofort auf die Reize des Gesichtssinns. Das Hören schliesst sich dem an. Sehen und Hören sind die Sinne, die bei den meisten Menschen "ganz oben" stehen, falls sie zu einer Bevorzugung ihrer Sinne befragt würden. Die Wichtigkeit der anderen Sinne kommt oft erst dann zum Zug, wenn sie ausfallen. Oder wenn man der Frage nachgeht: "Was würde mir fehlen ohne den Geschmack, den Geruch oder das Gefühl?" Und falls wir nun wieder auf den Bezug der Sinne als Türen in der Beziehung Gott-Mensch und Mensch-Gott zurückkommen, ergeben sich zusätzliche Fragen und Überlegungen.

Von Tür zu Tür, vom Sehen zum Hören.

Das Hören als Eingangspforte zu unserer Sinneswelt wird von vielen Menschen als zweitwichtigster Sinn empfunden. Aber Hören könnte sogar - bei weiterem Sinnieren zum Thema - doch noch als wichtigster Sinn erkannt werden. Hat nicht Jesus oft gesagt: "Wer diese meine Rede hört..." Und steht nicht siebenmal in der Offenbarung Kapitel 2-3: "Wer (mindestens!) ein Ohr hat, der höre was der Geist den Gemeinden sagt!"

Der Mensch und das Hören - nach einigen Wochen schon hört er im Mutterleib die ersten Geräusche von innen und die ersten Stimmen von aussen. Aber erst nach neun Monaten "erblickt" er das Licht der Welt"! Nach diesem kleinen Bonmot, Peter, verlasse ich wieder den Pfad der allgemeinen Erkenntnisse und wende mich lieber wieder meinem Thema "Gott- Mensch-Mensch-Gott" zu, an der Pforte des Hörens.

Wo bist du?

Das war die erste Frage Gottes an Adam, den Menschen (Genesis 3,9). Wie oft hat der Schöpfer wohl diese Frage wiederholt in der langen Menschheitsgeschichte? Im anfangs erwähnten Fresko der Sixtinischen Kapelle hört man diese Frage auch. Aber nur, falls Gott einem das Ohr öffnet, ähnlich wie er Lydia das "Hören" beim Hören schenkte (Apostelgeschichte 16,14), so müsste er beim Betrachten das Unhörbare hörbar machen: Wo bist du, Mensch?
Es scheint Gottes permanente, ja fast inherente Frage an den Menschen zu sein.

Gott macht sich durch seinen Geistwind hörbar. Genesis 3,8 hörten Adam und Eva die Stimme des im Garten wandelnden Schöpfers, sagt der Text. Aber Gott sprach doch noch gar nicht! Ist das ein Hinweis für uns, dass Gott sich wie durch einen Lufthauch "ankündigt" und dann entweder hörbar oder unhörbar spricht? Darf der Mensch sich dann schon entscheiden, ob er zuhören - oder sogar antworten will?

Vorbereiten, reden, hören.

Wer kann schon wissen, Peter, wieviel Vorbereitung Gott "investiert", um unser hören und reden aufeinander "einzustimmen"? Niemand, denn solches geschieht natürlich im Verborgenen. Zum Teil lange im Voraus - zum Beispiel 40 Tage bei Elia - verbunden mit einer Marathon-Wanderung.
Lange brauchte er auch bei dem Propheten Jona - verbunden mit verschiedenen Hilfen des Wetters und Tieren. Sehr lange brauchte er bei Paulus - dessen ganze Jugendzeit, verbunden mit Ausbildung und Karriere-Anfang als Inquisitor (Später ging das Hören dann schneller bei ihm, ohne grosse Vorbereitung, siehe Apostelgeschichte 16,9). Dann kommt hinzu, dass der Mensch Gott oft nicht hört beim ersten Versuch - also "klopft" er zwei oder dreimal an, an der Tür des Gehörs  (Hiob 33,14-15). Gott sucht die Kommunikation. Wenn er es nicht gerade selbst tut, schickt er Engel (und einmal sogar einen Esel) als Vermittler. Es gibt viele Beispiele in der ganzen Bibel dafür.
Kommen wir auf die 40 Tage zurück, die Gott abwartete, um Elia für einen Austausch von Herz zu Herz vorzubereiten:
Im Alten Testament faszinierten mich seit eh und je Gottes Art und Wege (1. Könige 19,4-18). Gott wählte für seine Rede ein "stilles, sanftes Sausen" (Luthertext) anstatt einer Rede im Sturm, einer Rede mit Erdbeben oder einer Rede durch eine Feuersbrunst. So wie ich es verstehe, war einerseits die sanfte Stimme der Gemütssituation Elias angepasst, andererseits gab Gott aber dadurch auch seiner Gemütslage Ausdruck. Kurze Zeit vorher, nachdem sich Gott durch ein gewaltiges Feuergericht am Karmel offenbarte und 850 falsche Propheten blossstellte, hätte er mit brennendem Feuereifer zu Elia reden können - so wie dann gerade Elia selbst im Feuereifer stand, als er die Götzendiener herausforderte und verhöhnte.
Ja, hätte er - aber er bevorzugte die Stille. Die Weise von Reden und Hören muss stets bei beiden Betroffenen übereinstimmen, um "richtig" zu hören, mit allen "Untertönen" und Feinheiten der gewünschten Botschaften.

Elias Problem.

Aus verschiedenen Gründen steht Elia als "der Prophet" da, in der Reihe vieler anderer grosser Propheten ragt er heraus. Ist es, weil seine Himmelfahrt mit viel Dramatik beschrieben wurde (2.Könige 2,11)?
Ist es, weil seine Reinkarnation in der Gestalt des Täufers stattfand (Matthäus 11,10-15)?  Ist es, weil er möglicherweise ein drittes Mal auf Erden erscheinen wird, in der Enthüllungszeit Jesu Christi (Offenbarung 11,3-7)?
Aber Elia hatte zwei Probleme: Erstens seine depressive Neigung und zweitens eine falsche Einschätzung der Lage im Lande . Er glaubte,  alleine in der Nachfolge Gottes zu stehen. Er hatte nicht einmal von den 100 Prophetenjüngern gehört, die der treue Obadja in Höhlen versteckte und versorgte (1.Könige 18,4). In der Höhle am Horeb klärte ihn Gott auf: 7000 Menschen hätte er sich zum Widerstand erweckt (1.Könige 19,18). Offenbar hörte
Elia nicht mehr, was um ihn geschah. Er gab seiner Schwermut nach und war somit nicht mehr auf Gott "eingetunt", um es modern zu sagen. Erst als er wieder die  gleiche Wellenlänge wie Gott fand, konnte er das Reden Gottes mit dem leisen Sausen hören und verstehen (1.Könige 19,13).

Lydias hinzuhören.

Bei Lydia in Philippi war das anders. Und dennoch ähnlich. Paulus sprach Gottes Worte zu den zum Gebet versammelten Frauen. Alle waren gottesfürchtig und somit irgendwie "vorbereitet". Alle konnten hören, aber nur eine "hörte zu". Von der, die zuhörte, sagt der Text: "Dieser tat der Herr das Herz auf, dass sie achthatte auf das, was Paulus sagte."
Das "achthaben" heisst auf griechisch PROSECHEIN, was genau "hinzuhaben" bedeutet. Sie musste ihr hören zum zuhören führen, ihr zuhören dann zum "hinzuhören". Um zu verstehen, was ihr persönlich von Gott her gesagt werden sollte, musste sie auf der Wellenlänge der gehörten Worte den Absender finden, den Ursprung, nämlich Gott (Apostelgeschichte 16,14).
Sie fand ihn, wurde gläubig und - uns ein gutes Beispiel.

Herz-hören an Pfingsten.

Die für die Menschheit grösste Türe zum Verstehen der Rede Gottes geschah am Pfingstgeschehen (Apostelgeschichte Kapitel 2).
Die Apostel redeten öffentlich, was ihnen Gott in den Mund legte und die Menschen hörten die Rede in ihrer Muttersprache. Mit anderen Worten: Gott übersetzte den Petrus simultan in alle Sprachen aller Anwesenden! Er "traf" dabei die Herzen und erfüllte sich damit seinen Wunsch, im Innersten verstanden zu werden.

Eine Art von Pfingsten geschah noch einmal in Apostelgeschichte 10,44. Dort zeigte der heilige Geist auf, dass der Zugang zu Gott nicht mehr allein über das Judentum führte. Aber wer von den Versammelten im Hause von Kornelius verstand die Rede von Petrus? Der Text betont: Alle, die zuhörten, die "hinhörten", die mit dem Herzen verstanden. Es ist auch hier wieder wie bei der Frauenversammlung in Philippi - alle hörten zu, aber nur Lydia "hörte hin". Bei diesen Überlegungen und Beispielen kommen mir die Worte von Jesus in den Sinn:
"Wer Ohren hat, der höre" (Matthäus 13,9 und 43).
Und in Offenbarung 2,7 reicht auch nur EIN Ohr dazu (so genauer im Grundtext)! Ein Ohr an der Türe zu Gott, das andere an den Türen zu unserem Herz. Das zusammen macht uns weise für die inneren Zusammenhänge der Lebensumstände.

Klänge beeinflussen unsere Empathie, las ich in einem Fachartikel zur Hirnforschung. Durch Töne bilden sich Klanglandschaften, in denen wir uns dann bewegen und Eindrücke sammeln. Lachen und weinen haben dort den grössten Einfluss. Die Forscher sagen, dass dies eine besonders hohe Aktivität in der Grosshirnrinde bewirkt. Und diese wiederum regt unser Mitfühlen an. Traurige oder fröhliche Musik bestimmen wieviel Empathie wir entwickeln. Es soll der direkteste Zugang zu unseren Herzen  sein. Ich nehme an, dass du mir zustimmst, Peter: Bei vielen in unserer Christenfamilie hat Lobpreis und Anbetung einen hohen Stellenwert in der Kommunikation mit Gott.

Der Wohlgeruch.

Wir haben im ersten Briefteil recht viel den Wohlgefallen erwähnt, Peter. Nun wende ich mich zum Wohlgeruch, der durch eine andere Türe unserer Seele, den Geruchssinn, hereinströmen kann. Wie oft erlebte ich, dass ich durch eine Tür ging und sofort eine andere Atmosphäre spürte. Eigentlich sollte ich sagen: Einen anderen Geist spürte, einen anderen Geist "roch". (Schon Luther ging mit seiner direkten Redeart darauf ein und urteilte mit den Worten "man reucht den Geist"). Als Paulus von der Einheit der ganzen Körperschaft Christi lehrte, erwähnte er direkt nach dem Gehör den Geruch (1.Korinther 12,17). Er lässt durchblicken, dass es "Geruchs-Glieder" gäbe - ein interessanter Gedanke! Offenbar scheinen einige unter uns ausgeprägter als andere durch die Nase zu funktionieren und können sich durch das Riechen besser orientieren. Den Geist riechen, Gott riechen und dann selbst Geruch auszuströmen -  eine breite Angelegenheit.

Geruch erfüllt und offenbart.

Gutes Atmen, frische Luft, Gerüche in der Luft, das erfüllt die Seele. Wieviel erfüllter mag sich eine Seele fühlen, wenn der ganze Raum um sie herum mit Wohlgeruch erfüllt ist? Eine Geschichte dazu findet bei einem gemeinschaftlichen Mahl statt, als Jesus mit seinen Jüngern im Hause von Lazarus, Martha und Maria ass. Während des Essens nahm Maria plötzlich ein Gefäss mit sehr kostbarer Narde und salbte die Füsse des Herrn damit. Johannes sagt (12,3), dass das ganze Haus vom Geruch erfüllt wurde. Diese Tat Marias wurde berühmt und in der Literatur und Kunst seit nunmehr 2000 Jahren beschrieben. Da aber Wörter und Bilder keinen Geruch darstellen können, versuche ich es mit Worten und gehe auf eine Reaktion eines Jüngers ein: Alle im Raume waren wohl tief beeindruckt von Marias Salbung an Jesus und - ich ergänze - ihre außergewöhnliche Tat wurde sicher durch den sich ausbreitenden intensiven Nardengeruch verstärkt. Dieser Geruch erweckte Herzensgedanken, eigene Erinnerungen und auch Fragen zum Geschehen. In der Stille und der Tiefe des Moments, mit den unausgesprochenen Fragen der Anwesenden,  ertönte lautstark eine Stimme, die die Salbung als Verschwendung tadelte. Jesus entschärfte den Tadel und erklärte Marias Liebestat. Soweit der Text von Johannes 12,1-8 in kurzer Zusammenfassung.
Die meisten Auslegungen konzentrieren sich zu recht auf Maria. Ich konzentriere mich aber nun auf den "das ganze Haus erfüllenden" Geruch und was er auslöste. Alle waren durch ihr Atmen miterfüllt. Und bei allen löste es - meiner Ansicht nach - vom Geist Gottes, dem Wind Gottes, dem Atem Gottes gewirkte Reaktionen aus. Echte Reaktionen, Herzensreaktionen, die aber nur von einem Anwesenden im Text ausgesprochen wurden: von Judas! Er musste offenbaren, was in seinem Inneren vorging. Der Geruch der  Salbung berührte sein Herz, gefüllt mit Liebe zum Geld - ganz im Gegensatz zu der Liebe von Maria. Johannes erkennt das Problem und erklärt es uns in seinem Evangeliumsbericht. Er war ein Augen, Ohren und "Nasenzeuge"!
Peter, ich brauchte diesen einfachen Bericht, um mir eine schwierige Geruchspassage im Neuen Testament verständlicher zu machen. Auf diesen gehe ich nun ein, 2.Korintherbrief 2,14-16.

Geruch zum Leben, Geruch zum Tod.

Ich zitiere den Text: "Aber Gott sei gedankt, der uns alle Zeit Sieg gibt in Christus und offenbart durch uns den Wohlgeruch seiner Erkenntniss an allen Orten. Denn wir sind Gott ein guter Geruch Christi unter denen, die gerettet werden und unter denen, die verloren gehen. Diesen ein Geruch des Todes zum Tode, jenen aber ein Geruch des Lebens zum Leben".
Es heisst "durch uns" offenbart sich Geruch. Er bringt "Erkenntnis" Christi. Diese Worte ermutigen, denn sind wir nicht gerne auf Gott und Gottes Sache hinweisende Menschen? Es darf durch uns Leben, geistiges Leben entstehen. Aber der Text sagt auch entmutigend, dass wir ebenso bei vielen Menschen ein Geruch des Todes sind. So oder so, durch uns aktivieren sich die geistigen Nasen der Menschen. Das können wir nicht ändern. Wir können zwar mit Worten und Handlungen viel bestimmen, aber den Geruch, der Beziehung zwischen Gott und den Menschen, können wir nicht direkt beeinflussen. Manche probieren, im zwischenmenschlichen Bereich, mit Parfüm und Creme, bessere Kontakte herzustellen. Erfahrungsgemäß funktioniert das nur kurzfristig. Und bei Gott überhaupt nicht.
In meiner Lebenserfahrung erlebte ich, wie sich Menschen von mir abwandten, weil sie den "Geist rochen". Sie realisierten offenbar schnell, dass ich "irgendwas mit Gott" zu tun
habe. Sie schreckten vor mir sichtbar und vor ihm unsichtbar zurück. Ich suchte oft die Gründe bei mir. Ich verurteilte meine zu forsche oder unsensible Vorgehensweise im Gespräch. Bis ich merkte, dass ich ja nicht nur ein fehlbarer Kommunikator bin, sondern auch ein Gefäss, gefüllt mit kostbarer Narde. Wer die Narde riecht, Peter, wird reagieren. Mit Offenbarung innerer Gedanken, die entweder zum Leben reizen - wie bei den Jüngern im Haus von Lazarus - oder zum Tode führen wie bei Judas.

Der Geruch stimmt, der Geist nicht.

Man konnte zu Jesu Zeiten auch ein Haus mit gutem Geruch füllen, ohne kostbare Narde dafür zu opfern. Hier ein Beispiel dafür: Die Pharisäer achteten sehr auf das Äußere. Und dies nicht nur in Gesetzesfragen, sondern auch in anderen äußerlichen Dingen. Selbst ein gut riechendes Haus war ihnen wichtig, wichtiger als die inneren Werte des Gesetzes, nämlich das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben. Im Matthäus 23,23 geht Jesus auf diese Haltung ein und nennt ein Kraut dabei, eine Art Minze, die auf griechisch HÄDIOSMON heisst. Der Name setzt sich aus HÄDYS und OSMÄ zusammen. HÄDYS kennen wir aus unserem Fremdwort "Hedonismus" (Vergnügen) und der weitere Wortteil OSMÄ heisst "Geruch" auf griechisch.
Diese Minze wurde auf dem Fussboden verstreut, um den Nasen zu gefallen, um einen guten Geruchseindruck zu machen. Daran ist ja nichts auszusetzen. Aber warum erwähnt Jesus gerade diese Minze? Ist es, weil sie trotz Wohlgeruch verbreitend nicht in ein Haus passt, in dem ein verurteilender Geist herrscht, anstatt Barmherzigkeit? Er tadelt die Pharisäer, weil ihm lieber wäre, dass ihre Herzen Wohlgeruch ausströmen würden!

Schmeckt es?

Dies ist eine Frage, die in der Schweiz anders verstanden wird als in anderen deutschsprachigen Ländern. "Schmeckt ("schmöckt") es" kann schmecken und riechen heissen, denn "riechen" wird ja in unserer  schweizerischen Mundart nicht verwendet, Peter. Man sagt: "Es schmeckt das Essen" oder "schmeckst du etwas in der Luft?" Erst der sprachliche Zusammenhang lässt erkennen, was mit "schmecken" gemeint ist. Seltsamerweise finden wir ähnliche Aussagen im Neuen Testament. Petrus zum Beispiel sagt, als er hungrig war und essen wollte, dass er "schmecken" wolle (Apostelgeschichte 10,10).
Oder: Einige Männer wollten nichts "schmecken" bis sie Paulus umgebracht hätten (Apostelgeschichte 23,14). Klar, essen und schmecken liegen eng beieinander. Und durch den Geruch wird das Schmecken, beziehungsweise das Essen angeregt. Läuft  einem nicht schon oft das "Wasser im Mund zusammen", wenn man feines Essen riecht? "Schmecken" muss einem auch das Trinken, besonders wenn trinken die Hauptmahlzeit ist - wie bei einem Säugling. Hierzu steht im 1.Petrusbrief 2,1-3 ein interessanter Text (LU 1912): "So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und allen Neid und alles Afterreden und seid begierig nach der vernünftigen, lauteren Milch, als die jetzt geborenen Kindlein, auf dass ihr durch diesselbe zunehmt, so ihr anders geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist".
Hier stelle ich mir Menschen vor, die genug von der Abwertung unserer Sprache haben. Die genug haben von allen Lügen -und Lästerworten und Worte suchen, die ihnen "schmecken". Der Vergleich zum Säugling zeigt mir verschiedene Dinge: Zum Beispiel, dass schon die einfachsten Worte aus dem Wort Gottes als eine Art Grundnahrung zu einem gesunden Wachstum führen. Dann, dass ein Baby sehr wohl zwischen Milch und Milch unterscheiden kann: Würde es nicht das Saugen verweigern bei unpassender, ihm nicht schmeckender Milch? Zudem wird die Muttermilch "vernünftig" (LOGIKON) genannt - "logisch" wäre hier auch eine Übersetzungsmöglichkeit. (LOGIKON ist gut erkennbar verwandt mit dem LOGOS, dem Wort Gottes). Und das Beste in diesem Text kommt am Ende: Wir Gläubige erkennen am Schmecken der Bibelworte den Geschmack Gottes, seine Freundlichkeit!

Schmecken hat eine starke geistig symbolische Komponente. Im Johannesevangelium 8,52 wird als Redensart "der Tod geschmeckt" und im
Hebräerbrief 2.9 "schmeckt Jesus den Tod" als bittere Realität.

Ein real gemeintes Schmecken finden wir in der bekannten Geschichte der Hochzeit in Kana (Johannesevangelium 2,1-11). Dem Gastgeber passierte etwas Peinliches. Es ging ihm - bei einer offenbar grossen Gästeschar - der Wein aus. Jesus, der mit seiner Mutter als Miteingeladener etwas später dazu kam, hilft ihm aus der Bredouille. Er verwandelt ca. 600 (sic!) Liter Wasser in Wein. Die Diener wussten es, aber der Speisemeister nicht. Als dieser dann den Wein vor dem Ausschank abschmecken musste, war er sehr erstaunt und sagte zum Bräutigam: "Jedermann gibt zuerst guten Wein und dann erst, wenn die Gäste trunken sind, den geringeren. Du aber hast den guten Wein bisher zurück gehalten." Speisemeister wird man wohl kaum ohne einen ausgeprägten Geschmackssinn. Ob aber Jesus auch die Qualität seines Weins "abschmeckte", wissen wir nicht. Wir wissen jedoch die Symbolik: Wein bedeutet unter anderem "Freude" (siehe Psalm 104,15). Und Gott will uns erfreuen, er lässt uns gutes schmecken, er lässt den Menschen teilhaben an seinem Geschmack, an seiner Freude.

Eine ungewöhnliche Ergänzung zum Schmecken des Wortes Gottes ist das Schmecken der Kräfte der zukünftigen Welt (Hebräerbrief 6,5). Dazu habe ich einen passenden Text im Matthäus-Evangelium 19,23-24 gefunden: In dem Gespräch mit dem reichen Jüngling sagt Jesus: "Ein Reicher wird schwer (DYSKOLOS) ins Himmelreich kommen. Weiter sage ich euch, es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass ein Reicher ins Reich Gottes komme".
Was hat diese Aussage zu Reichtum mit essen, schmecken zu tun? Was fällt einem Reichen "schwer"?
Das Wort "schmecken" (griechisch GEUO) wird hier zwar nicht verwendet, sondern mit einem ungewöhnlichen anderen Wort ersetzt, das auch nur mit dieser Geschichte in den Evangelien vorkommt: DYSKOLOS. Es heisst auf deutsch "nicht schmecken", im Sinne einer "schwer verdaulichen Speise". DYSKOLOS, getrennt in DYS und KOLON, heisst "schwer, nicht leicht" und "Darm". Ich finde es spannend, in der Aussage von Jesus mir kommende Tischgemeinschaften im Königreich Gottes vorzustellen. Einigen wird das Essen dort - gemäss den Worten von Jesus in der Geschichte vom reichen Jüngling - nicht schmecken. Zeigt der Aspekt des Menüs im Reich der Himmel geistige Unterschiede auf?  Finden wir dort zusammengestellte Speisen für Menschen gleiches Geistes, gleichen Geschmacks? Wer den Geist von Jesus nicht hat, dem schmeckt das Essen mit ihm nicht und er muss sich anderswo nähren. Offenbar kommt Gott den Menschen, die an seinen Sinnestüren wachen, seinen Geist schmecken, bis zur wohlmundenden Tischgemeinschaft entgegen. Sagt das nicht auch die Verheissung in Offenbarung 3,20 aus: "Siehe ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zum dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir".

Leben betasten.

Kann man Leben betasten? Oder betastet man etwas, um zu prüfen, ob es lebt? Oder wie es lebt? Will ich Klarheit in einer mir wichtigen Sache, dann genügt mir oft das Sehen und Hören, das Riechen oder gar Schmecken nicht mehr. Ich muss es berühren. Das erging nicht nur dem Jünger Thomas so, der Jesus unbedingt berühren musste, um sicher zu sein, keinen Geist vor sich zu haben. Man nennt ihn fälschlicherweise den "ungläubigen Thomas" - sein Verhalten ist sogar als Redewendung in unsere Sprache eingegangen. Ich denke jedoch, dass er zu recht einem Urbedürfnis des Menschen folgte. Der Verhaltensforscher David Linden nennt Berührungen "sozialen Leim".
Ein guter Ausdruck! Als man in Rumänien unter dem Diktator Ceausescu Waisenkinder in Heimen ohne Bezugspersonen und ohne Berührungen aufwachsen liess, hat man sie lebenslang in ihrer Persönlichkeit zerstört. "Solche frühkindlichen Defizite können nicht mehr gutgemacht werden", so D.Linden. Der Forscher widmet sich mit viel Herzblut dem Tastsinn. Dieser Sinn sei für den Menschen zentral, nicht ersetzbar wie andere Sinne. Das finde ich auch, Peter. Ich habe viel nachgedacht über die Bedeutung des Tastens - zumal der schon erwähnte Text in Apostelgeschichte 17,27 mich darin stark beeinflusste und ich meine Gedanken in diesem Brief mit dir teilen darf.

Das Wort des Lebens betasten.

Johannes schreibt im ersten Vers seines 1.Briefes: "Das von Anfang war, das wir gehört haben, das wir gesehen haben mit unseren Augen, das wir betrachtet haben und mit unseren Händen betastet haben - vom Wort des Lebens..." Ich sehe hier eine sprachliche Steigerung im Beschrieb der Beziehung, die mit dem Betasten ihren stärksten Ausdruck findet: Gehört, gesehen, betrachtet und betastet.
Das hier verwendete griechische Wort für "tasten" (EPSELAPHESAN) kommt ausser in der Apostelgeschichte und im 1.Johannesbrief genannten Stellen zuerst in Lukas 24,39 vor.
Dort fordert Jesus die Jünger auf, ihn anzurühren. Er wollte von ihnen auf die sicherste Art erkannt werden - nämlich mit der größtmöglichen körperlichen Nähe. Was damals mit den Händen möglich war, wäre heute für mich eine "gefühlte" Berührung, die der Geist Gottes meinem Geist und dieser wiederum meinem Körper weitergibt. Es gibt Momente in der Gottesnähe, in denen wir "es schaudert mich" sagen würden. Schaudern, geschieht das nicht fühlbar mit Aufstellen unserer feinen Härchen auf der Haut?
Ein Übersetzer nennt das "Berühren" hier im Johannestext "berührend zupfen". Es ist eine feine Wortwahl, die eine gewisse Zartheit der Berührung aufzeigt.

"Schwingende" Berührungen.

Die oben erwähnte Verbform EPSELAPHESAN aus Johannes 1,1 kommt vom Infinitiv PSÄLAPHAO her. Und hier nehmen wir uns eine unerwartete Wortverwandschaft vor: PSALLO, eine Saite zupfen, wie bei eine Zither und Guitarre. Oder eine Saite spannen und dann schnellen lassen wie bei einem Bogen. Klar, Peter, bei PSALLO kommt einem sofort - und zu recht - unser "Psalm" in den Sinn! Kennst du den Ausdruck "psalmodieren"? Es ist ein Psalmensingen mit geistgewirkter Melodie. Hin und wieder stärkt dies meine Seele sehr.

Der Tastsinn entwickelt sich vor allen anderen Sinnen. Ein Fötus hört schon mit durch "ertasten" der Schallwellen, bevor sich das Gehör ausgebildet hat, las ich. Töne werden von Gehörlosen ertastet, so wie Wörter von Blinden ertastet werden. Töne unterscheiden sich durch Schwingungen. Tastet sich nicht auch unser guter Gott mit vielerlei "schwingenden" Berührungen zum Menschen hin?

Kontakte herstellen.

Der moderne Mensch erlebt gerne Kontakte. Wie bereits erwähnt, sind diese Kontakte essentiell für die Entwicklung des Menschen. Der antike Mensch aber, besonders der zur Zeit des klassischen Latein, bewertete das Wort CONTACTUS anders: ich entdeckte in einer Studie, dass für ihn das Wort "Berührung" mit "Ansteckung" zu tun hatte - im leiblichen Bereich (Krankheit) und im seelischen Bereich (Verführungen durch schlechte Kontakte).
Im Laufe der Jahrhunderte kamen andere Kontakte hinzu: der "technische Takt", der elektrische Kontakt und die Leitfähigkeit.
Wir brauchen "Steckdosen", um von guter Musik  "angesteckt" zu werden...die fantasievolle Fortsetzung dieser spielerischen Gedanken überlasse ich gerne dir, Peter.

Berühren mit Konsequenzen.

Eines der meistverwendeten Worte für "berühren" im Neuen Testament heisst HAPTO. Es berührt, verbindet, heftet an, befestigt. Zum Beispiel im Lukas 8,16 entsteht Feuer, Licht mit HAPTO. Man kann mit diesem Verb HAPTO so vieles ausdrücken: liebevoll berühren (HAPTO wird sogar für den Koitus verwendet, 1. Korinther 7,1) oder berührt werden. Vieles und viele können uns äußerlich und innerlich berühren, nur einer kann es nicht: der Böse (1.Johannesbrief 5,18). Er kann einen von Gott gezeugten Menschen beeinflussen, versuchen, aber nicht HAPTO, berühren.
Unser Lehnwort "Haptik" (taktile Wahrnehmung, Lehre vom Tastsinn) ist direkt von HAPTO abgeleitet. Aber wenn ich jetzt schon ins schulmeisterliche Lehren abgleite, Peter, möchte ich noch einiges Wissen an dich loswerden: Der Tastsinn reagiert auf der Oberfläche unseres Körpers und zusätzlich "subkutan" auf verschiedenen Ebenen unter der Haut. Je nach Druck oder sonstiger Einwirkung, geht dies tief nach innen bis zum Druck auf die Organe. Eine Menge Sinneszellen füttern unser Gehirn und dieses muss alle Informationen zusammenfassen und dann unsere Reaktionen koordinieren.
Welch eine Komplexität wir doch darstellen!
Und all dieses Gesammelte sammelt nun Gott ebenso, wenn er uns "HAPTO-berührt" und unser Befinden erforscht, um uns optimal begegnen zu können.

Der ganz besondere Sinn.

Im letzten Abschnitt erwähnte ich, dass der Böse uns nicht berühren kann (HAPTO). Wenn es  nicht so im 1.Johannes 5,18 stünde, könnte ich es kaum annehmen. Viele erfahrene Berührungen, mit Schmerzen verbunden, ordnen wir noch schnell einmal dem Bösen zu. Meistens zu schnell, wir denken dann nicht tief genug nach. In diesem letzten Abschnitt des 1.Johannesbriefes (5,20) wird uns ein Sinn genannt (Luthertext), der DIANOIA heisst. Den, Peter, schauen wir uns noch genauer an, im Blick auf mein Briefthema. (Als "Urtextperle" findest du mehr zu DIANOIA auf meiner Website).
Also, unsere ganze Sinneswelt, der ganze Austausch der Wahrnehmungen zwischen Gott und dem Menschen beruht ja auf dem eingangs erwähnten Zitat des alten griechischen Philosophen EMPEDOKLES, der "GLEICHES IST NUR DURCH GLEICHES ERKENNBAR" lehrte. Wenn wir uns nicht in der Wahrheit bewegen, kann keine Wahrheit erkannt werden. Dann kann sich auch die Wahrheit Gottes nur dort entwickeln, wo sie zwischen Gott und dem Menschen "angedockt" ist und bleibt...auch wenn es "nur" eine zarte "Fingerandockung" ist (nochmals: siehe Abbildung Sixtinische Kapelle!). Nun denke ich, dass durch die  Fingerandockung der DIANOIA - Sinn fliesst. Dieser Sinn hat durch das gegenseitige Vertrauen (PISTIS, gleiche Bedeutung wie "Glaube") eine Offenbarungskraft, die mit allen Sinnen wirkt und durch alle Sinne Wahrheit offenbart. Mit dem DIANOIA Sinn können wir das tun, was der Name bedeutet: DIANOIA  - DURCHDENKEN. Durchdenken, was Gott schon durchgedacht hat und was er weiterhin durchdenken will. Er will stets die aktuelle Spur der Wahrheit erkennen, die uns gerade bewegt und erfüllt. Viele feinfühlige Menschen haben einen sogenannten "6.Sinn", eine Vorahnung, eine Intuition, ähnlich wie Tiere einen Instinkt haben. Aber der von Gott gezeugte, im Glauben an Jesus Christus lebende Mensch hat den DIANOIA, den "7.Sinn", wie ich ihn nenne. Durch diesen ertastet er Gott und durch diese Verbindung tastet Gott auch in den Menschen hinein.
Jesus "erlaubte" sich, das grosse dreifaltige Gebot aus dem 5.Buch Moses 6,4-5 im Gespräch mit einem Schriftgelehrten (ausgerechnet!) durch eine vierte Nennung zu ergänzen - siehe Markus-Evangelium 12,30. Er betonte, dass man Gott mit ganzer DIANOIA lieben soll. Der Schriftgelehrte war zwar einverstanden mit der Ergänzung, wagte aber nicht in der Wiederholung von Jesu Aussage das Wort DIANOIA zu wiederholen. Er ersetzte es mit SYNESIS, den Verstand meinend (Markus 12,33). Den tieferen Sinn von DIANOIA erlebte er vielleicht bei oder nach dem Pfingstfest, als er die Möglichkeit bekam, mit dem Heiligen Geist die Wahrheit Gottes in sich "einfliessen" zu lassen.

Nun komme ich zum Ende meines Briefes an dich, Peter. Als passender Abschluss-Gedanken kommt mir spontan ein Wort der Weisheit Gottes in den Sinn (Sprüche 23,15):

"Mein Sohn, wenn dein Herz weise ist, freut sich mein Herz, ja, meines noch dazu."

Und wie schön ist es, Weisheit durch Gottes Türen auszutauschen, indem wir gegenseitig sehen, hören, schmecken, riechen und tasten durch seinen besonderen Sinn.

Mit diesem Himmelsgruss drücke ich dich, Andrea

JoomShaper