Dass Jesus einen technischen Begriff (AUTOMATÄ) in einem Gleichnis mit pflanzlichem Wachstum verwendet, ist sehr 'wunderlich'. Noch erstaunlicher ist vielleicht, dass er das Wort aus der 'Ilias' von Homer zitiert! Jesus lehrt im Gleichnis über natürliche Wachstums-Phasen. Homer dagegen beschreibt technische Himmelstore, die sich dem Götterwagen von Hera, der Gemahlin von Zeus, AUTOMATAI öffnen. Niemand muss dafür etwas tun, die Himmelstore handeln aus eigener Kraft und Antrieb - ähnlich wie Jesus es vom Handeln im Gottesreich vergleicht. Bei Homer wird die Szene mit Löwengebrüll-Donnern (MYKON) dramatisch beschallt - auf diese Dramaturgie verzichtet Jesus. In der Offenbarung 10,3 kommt sie jedoch wieder vor: dort brüllt (MYKATAI) ein Engel mit Löwenstimme!
Das Wachstums-Gleichnis.
Markus Evangelium Kapitel 4, Verse 26-29:
'Das Reich Gottes ist so, wie wenn ein Mensch Samen auf's Land wirft und schläft und steht auf, Tag und Nacht; und der Samen geht auf und wächst, ohne dass er's weiss. Denn die Erde bringt von selbst (AUTOMATÄ) Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin, denn die Ernte ist da'.
Mit Gelassenheit zum Ziel.
Die Geschichte von der souverän selbstwachsenden Saat im vierten Kapitel des Markus-Evangeliums steht zwischen den Gleichnissen vom Licht und vom Senfkorn.
Sind diese drei Gleichnisse eine Art Triologie des 'Werden-lassens'? Licht scheint souverän aus der Höhe. Das winzige Senfkorn wächst souverän in die Höhe. Alle kommen zu einem erstaunlichen Ergebnis - und ihre Gelassenheit ist uns zum Vorbild: Still und langsam, Phase für Phase kommt das Reich Gottes näher. Das Ziel wird nicht verfehlt.
Wir sähen auch viel in unserem Leben. Das Allermeiste bemerken wir nicht einmal dabei, es geschieht AUTOMATOS, automatisch: Ein Wort hier, ein Blick dort. Selbst in einem bewussten Handeln steckt viel Unbewusstes. Wir wissen nicht, was 'hängenbleibt', was 'verpufft'. Von selbst, AUTOMATOS, gehen die Tage dahin, wir schlafen, wir wachen. Und immer wieder darf man einen 'Halm' sehen. Er entsteht AUTOMATOS in und durch unser Leben. Halme sind schwach, aber biegsam. Sie wehen im Tageswind und bilden zum Glück Knoten zum festeren Stehenbleiben. AUTOMATOS. Bald erscheint die Ähre. Eine Schutzschicht der noch weiterreifenden Frucht...bis sie voll da ist. AUTOMATOS. Nun kann sie zielorientiert eingesetzt werden. Der 'AUTOMATISMUS' ist vorbei und unser Handeln beginnt.
Prägungen.
Unser Zeitalter ist vom Wort AUTO(S) geprägt. Siehe Automatisierung, Automobil, Autopilot, autodynamisch, autosuggestiv, autoaggressiv...und viele mehr. Alle haben den gleichen Grund mit der Silbe 'AUTO'. Dadurch bezieht sich alles auf das 'Selbst', das Eigene, auf das sich selbst Bewegende oder mit sich selbst Handelnde.
Geht man verschiedenen griechischen Wortstämmen von AUTOMATOS nach, finden sich Wurzeln von MAN..., MEN... und anderen. Im alten attischen Griechisch (aus Attika stammend) heisst MENOS Verlangen und Kampfesmut. Seelische Erregung spürt man im Begriff MAIOMAI, das mit 'suchen, trachten, streben', 'ich fühle einen Trieb zu etwas' übersetzt wird.
Kurz:
AUTOMATOS beinhaltet einen selbstbestimmten, selbsthandelden und selbstdenkenden Zustand.
Und zuletzt....
Der Begriff AUTOMATOS kommt zweimal im Neuen Testament vor. Wie oben besprochen im Markus Evangelium Kapitel 4, Vers 28 und zuletzt noch einmal in der Apostelgeschichte Kapitel 12, Vers 10. Interessanterweise haben wir hier eine parallele Darstellung zu Homer's Geschichte des sich automatisch öffnenden Himmelstor. Petrus wird in Engelbegleitung an den Wachen vorbei aus dem Gefängnis geführt. Die letzte schwere, eiserne Tür zur Strasse hinaus öffnet sich ihm AUTOMATÄ. Nicht ganz klar ist dabei, ob sich die Tür wirklich 'wunderlich von selbst bewegt' auftut oder ob der Engel Gottes ein wenig nachhilft.