Neugier auf Gottes Geheimnisse

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Die Neugier als Prägung.

"Welche Eigenschaft würdest du als prägend in deinem Leben bezeichnen?" fragte mich jemand. Wie sollte ich das beantworten - viele Gedanken schwirrten sofort in meinem Kopf herum. Dann aber kam mir der israelische Philosoph Amos Oz zu Hilfe. Von ihm las ich einmal den Satz: "Ich glaube an die Neugier. Sie ist mein Leben." Das ist auch meine Erfahrung. Die Neugier. Sie war die Tür zu allen Prägungen meines Lebens. Sie war die Tür zu den Geheimnissen Gottes in meinen unentwegten Bibelstudien seit 1971, als ich zum ersten Mal eine Bibel aufschlug. Die ersten drei Sätze "hauten mich um" - sie machten mich so neugierig, dass ich die Bibel heute noch täglich nach ihren Geheimnissen durchforsche.
In der Kindheit war die Neugier bei uns allen eine prägende Eigenschaft. Alles um uns herum war ein Geheimnis, alles musste gesehen, ertastet und erforscht werden. Mit dem Erwachsenwerden ging soviel Kindliches verloren - nicht nur das Urvertrauen in Gottes Gegenwart, sondern oft auch das Interesse an Gottes Geheimnissen.

Die Neugier versickert.

Selbst bei vielen Menschen, die Christen wurden und anfingen die Bibel zu lesen, "versickerte" die Neugier, die Suche nach Gottes verborgenen Wahrheiten. Man blieb zufrieden mit den biblischen Grundwahrheiten: Errettung durch den Glauben, Trost im Glauben, Lebensführung mit dem Glauben. Alles gut. Schade nur, dass dabei oft das in der Bibel offenbarte Mysterium des Lebens auf der Strecke blieb.

Das Mysterium, das Geheimnis.

Unser Fremdwort "Mysterium" kommt vom griechischen Wort MYSTERION her, auf deutsch: "Geheimnis". Im Neuen Testament stehen achtundzwanzig Hinweise auf Geheimnisse (das erste Mal im Matthäus-Evangelium 13,11 und das letzte Mal in der Offenbarung 17,7). Achtundzwanzigmal könnte einem neugierigen Leser die Zeit zu kurz werden, um die Zusammenhänge der Texte zu erforschen. Geheimnisse reizen zu Spekulationen (und zum Verspekulieren!) in der Auslegung der Texte. Und das sollen sie auch. Schon der weise König Salomon schrieb im Sprüchebuch 25,2: "Gottes Ehre ist es, eine Sache zu verbergen, aber der Könige Ehre, eine Sache zu erforschen".
Viele bekennende Christen nennen sich "Königskinder" - warum sollten sie nicht ebenso "Königskinder Salomons" in der Erforschung des biblischen Mysteriums, der Geheimnisse Gottes werden? Ich fand auch spannend, was der Fremdwörterduden zu "Mysterium" schreibt:
"Ein religiöses Geheimnis...zu unterscheiden von der Mystik, der Geheimlehre. Als 'Mysterium tremendum' ist es die erschaudernd machende Wirkung des Göttlichen". Hand aufs Herz: Wann hat uns das letzte Mal ein biblische Aussage "erschaudern" gemacht?

Wie geht das?

Ein Geheimnis, ein MYSTERION, ist aus den griechischen Wortwurzeln MY und TEREIN übertragen, etwas "verschlossen Gehaltenes, Verriegeltes". Um ein Mysterium, ein Geheimnis in der Bibel, zu verstehen, muss das Verständnis dazu "geöffnet" werden. Petrus weist darauf hin, dass dies nur mit Gottes Hilfe geht (2.Petrusbrief 1,10). Gott verschliesst und - öffnet dem Suchenden. Aber wie geht das? Wer ist ein Suchender? Im Matthäus-Evangelium 7,7-8 erklärt es Jesus mit drei Eigenschaften: es ist jemand, der bittet, sucht, anklopft. Wer jedoch beim Bitten um Verständnis eines ihm unklarenTextes stehenbleibt und nicht bis zur Zufriedenheit seines Geistes weitersucht (das heisst nicht bei Gott "anklopft"), der wird auch nicht durch Gottes Tür in ein Geheimnis eingeführt.

Die Verwalter der Geheimnisse.

Paulus schreibt den Korinthern (1.Korintherbrief 4,1-2), dass wir Christen für Diener Christi und für treue Verwalter von Gottes Geheimnissen gehalten werden sollen. "Verwalter" heisst auf griechisch OIKONOMOS - der Name setzt sich zusammen aus OIKOS, das Haus und NOMOS, das Gesetz. Somit sollten wir bei Gottes Geheimnissen die jeweiligen "Hausgesetze" kennen und verwalten können. (Und zwar "treu" - das für "treu" gebrauchte griechische Wort "PISTOS" würde ich hier lieber mit "anhaltend, dranbleibend" übersetzen). Also geht es bei Gottes Geheimnissen nicht nur um einmalige "aha-Erlebnisse", sondern um tiefere Erkenntnisse mit anhaltender Wirkung, an denen wir praktisch dranbleiben sollen!

Wer versteht die Geheimnisse?

Jesus spricht im Neuen Testament als Erster von einem Geheimnis, in einer Verheissung an seine Jünger. Er verspricht ihnen, den Verständnis Suchenden, Einsicht zum Thema "Königreich der Himmel". Er führt sie in eines der "Hausgesetze" im Königreich der Himmel ein.
Er lehrt: "Denn wer da hat, dem wird gegeben werden - und er wird Überfluss haben. Wer aber nicht hat, von dem wird selbst das genommen werden, was er hat (Matthäus 13,11-15)". Eine schwere Aussage! Verstehen wir dieses "Geheimnis" in Gottes Königreich? Jesus erklärt weiter in den folgenden Versen, wie Menschen mit hörenden Ohren und sehenden Augen dennoch nichts "verstehen": Sie fügen dem, was sie haben, nichts Neues hinzu. Sie verändern sich nicht und stehen schlussendlich sogar in Gefahr, sich selbst zu verlieren. Die Gleichnisse von Jesus sollen die Neugier zum Verstehen fördern. Das merkt man an seiner Wortwahl. Unter sprachlich mehreren Möglichkeiten, ein passendes Wort für "Verstehen" zu nehmen, wählt er das Wort "SYNIEMI" aus (Matthäus 13,13). Es heisst "verstehen dadurch, dass man das mit den Sinnen Wahrgenommene in einen Zusammenhang bringt".
"Dieser Ausdruck SYNIEMI hat es in sich"
sagte mir schon mein Griechischdozent E.Kägi und erklärte mir weiter: "Wenn du etwas Neues hörst, dann speicherst du es als "neu" in deinem Kopf ab. Dann prüfst du, ob es dir nützen könnte und wie es mit deinem vorhandenem Wissen übereinstimmt. Deine Neugier erwacht. Du bringst nun das Wahrgenommene in den Zusammenhang, den du verstehst. Aber erst dann entscheidest du, ob du das Gehörte VERSTEHEN WILLST. In der Verbindung mit deinem Wissen könnte dich das Gehörte zu sehr in Frage stellen oder dir zu "unbequem" sein. Ist das der Fall, schläft die Neugier auf das Neue wieder ein und du "verstehst" es nicht".
Diese Art des Verstehens, beziehungsweise des Nichtverstehens stellt Jesus den Geheimnissen seiner Gleichnissen voran und schließt auch damit wieder ab (siehe Matthäus 13,51).

Vertiefung von Geheimnissen, die Praxis.

Eine spontane Entdeckung in der Schriftlesung zu machen oder ganz überraschend einen Vers anders zu verstehen - das erfreut.
Ich erinnere mich noch gut an die "Entdeckung" im Kolosserbrief 1,27, als ich auf dieses "Geheimnis" stiess: "...Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit...". Ich verstand nicht, was daran "geheimnisvoll" sein sollte - hatte ich doch im Johannesevangelium (15,4) schon die Worte von Jesus gelesen und geglaubt: "Bleibet in mir und ich in euch". Aber ich spürte eine verborgene Tiefe, die aus diesem Vers des Kolosserbriefs zu mir kommen wollte...also las ich weiter im Vers 28: ...indem wir jeden Menschen ermutigen und lehren...und in Christus vollkommen darstellen." Nun sah ich bereits besser, dass es nicht um mich allein ging, sondern um uns alle - beziehungsweise um mein Verhalten gegenüber jedem Menschen. Die Aussage packte mich. Ich nahm mir von dann an vor, jeden Mitmenschen anders anzusehen - nämlich so, dass ich mich bemühte, ihn mir "vollkommen in Christus" (besser: "vollendungsgemäss in Christus") vorzustellen. Und das, ob er glaubte wie ich, oder nicht. Diese geheimnisvolle und praktisch ausgelebte Hoffnung erlebte ich später auch bei einem meiner geistlichen Väter, Samuel Unger. Ich liess aus Dankbarkeit zu ihm "Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit" auf seinen Grabstein meisseln.

Das Evangelium - ein Geheimnis?

Das Evangelium. Welches? Es gibt verschiedene Evangelien im Neuen Testament.
Neben den vier bekannten von Matthäus, Markus, Lukas und Johannes lesen wir auch von weiteren Evangelien wie zum Beispiel vom Evangelium des Königreiches Gottes oder dem Evangelium der Gnade Gottes. Aber warum bittet der Apostel Paulus um Gebet, damit er "das Geheimnis des Evangeliums" kundtue (Epheserbrief Kapitel 6, Vers 19)? Das verstand ich nicht sofort beim Lesen. Auch hier wieder merkte ich: weiterlesen, suchen, anklopfen...Vers 20 öffnete mir dann langsam die Tür zum Verständnis. Das "Geheimnis" fand ich im Wechsel der Worte "freimütig reden" und dabei "angekettet" zu sein!
Paulus war ein Gefangener, der in Ketten evangelisierte, äußerlich gebunden, innerlich frei. Seine Zuhörer mussten das "zusammenbringen" in ihrem Verständnis: Das Geheimnis des Evangeliums, im Glauben an Christus gebunden zu sein, um die frohe Botschaft der Freiheit frei zu leben? Zusätzlich musste auch Paulus als Gesandter darum ringen, die jeweilig "richtige Rede" zu finden - denn zu Königen spricht man anders als zu Volksgenossen (siehe Apostelgeschichte 26,27-29 und Kapitel 28,20).

Wie oft betete auch ich bei Gesprächen still in Gedanken um "verständliche" Worte, denn die Tiefe des Evangeliums bleibt eigentlich immer ein Geheimnis.