Gedanken zur Angst

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Woher kommt Angst oder Furcht? Was ist ihr Ursprung? Wie äußert sie sich? Wie kann ich Menschen besser verstehen, die unter Ängsten leiden? Ich möchte diesen Fragen als Sprachforscher nachgehen, der sich bewusst nur auf biblische Texte beschränkt, um Antworten zu finden.

Adam

Die erste Frage, die in der Bibel steht, finden wir in der Genesis 3,10: "Adam, wo bist du?" Sie wurde in einem für den Menschen ("Adam") ungünstigen Zeitpunkt gestellt. Nämlich nach dem Vorfall, der als "Sündenfall" in die Menschheitsgeschichte einging. Adam anwortete: "Ich hörte deine Stimme im Garten und ich fürchtete mich, denn ich bin nackt und versteckte mich." Versteckte er sich, weil er nackt war?? Nacktheit jedoch führt eher zum sich-schämen als zum sich-fürchten. Der wahre Grund zur Furcht lag offensichtlich woanders. Lag er nicht in der Übertretung von Gottes Gebot? Dann könnten wir aus der Adamsgeschichte schliessen, dass jedweder Urgrund zur Furcht oder Angst in einem Ur-Konflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf zu finden wäre.

Herodes

Die erste Frage in den Evangelien des Neuen Testaments wurde dem König Herodes von den Weisen aus dem Morgenland gestellt ( Matthäus 2,2 ): "Wo ist der (neu)geborene König der Juden?" Herodes und "das ganze Jerusalem" erschraken. Wer wird da gesucht? Am Hofe wusste man von keinem Herodes-Sohn. Kommt da Konkurrenz als furchteinflössende "Bescherung", als Feind des Machtmonopols? (Der weitere Verlauf der Weihnachtsgeschichte ist in den Grundzügen bekannt. Genaueres darüber auf www.xandry.ch ).
Unbequeme Fragen lösen Angst aus.

Unwissenheit ( bewusste oder unbewusste ) bringt Kontrollverlust - angstauslösend besonders für Menschen in "wichtiger" Stellung. Leider reagieren viele in solchen Situationen lieber mit fadenscheiniger Feigenblatt-Bedeckung wie einst Adam und Eva, als dass sie sich der Situation stellen würden.

Die Apostel

Im Neuen Testament nehmen wir uns nun die Apostel vor. Nicht als Beispiele der Angst - obschon sie auch viel von persönlich erlebter Angst berichten - sondern als Wortschöpfer. Ich fand bei ihnen verschiedene Ausdrücke für Angst oder Furcht oder verwandte Worte.  Alle Schreiber benutzten das KOINÄ, eine Art griechischer Volkssprache, die von den meisten ihrer Zeitgenossen benutzt wurde.

Die vielen Ängste plus zwei

Viele Worte beschreiben im Neuen Testament den Zustand von Angst oder ähnlichen Gefühlen. Sie kommen als Hauptworte vor und zwei weitere Ausdrücke als Tätigkeitsworte. Es ist schwierig, die Grenze dort zu ziehen, wo "Angst" in einer Benennung das massgebliche Gefühl ist, oder wo sie in den Gefühlen nur "mitschwingt".

Die Worte PHOBOS, THLIPSIS, DEOS, SYNOCHÄ, DEILIA, AGONIA, PTOÄSIS, APORIA, STENOCHORIA als Nomina sowie die zwei Verben ADEMONEOO und TARASSOO beinhalten Ängste zentraler als EULABEIA, ANANGKÄ, KOPOS, CHREIA, AIDOS. Viele dieser Ausdrücke überschneiden sich in ihrer umfassenden Bedeutung. Ich versuche, eine für meine Studie passende Auswahl zu treffen und möglichst detailliert die dort vorhandenen Unterschiede auszuarbeiten. Jedoch vergessen wir nicht: Die jeweils persönlich empfundene Angst besteht aus so zahlreichen Facetten, dass alle Erklärungen letztendlich zu kurz greifen.

PHOBOS, die furchterregende Angst

Das meistvorkommende Wort PHOBOS ist auch das bekannteste deutsche Fremdwort, leicht in PHOBIE abgeändert. Im Neuen Testament finden wir keine der uns bekannten Phobien wie Klaustrophobie und Spinnenphobie. Im NT hat der PHOBOS eher umfassend mit Angst, Schrecken und Furcht aller Art zu tun. Eine gute Illustration dazu zeigt uns das blanke Entsetzen der Jünger in Matthäus 14.26, als sie in grosser Seenot Jesus wie ein Gespenst zu sich kommen sahen. Ein weiteres Beispiel sehen wir in dem mit PHOBOS verwandten Wort PHOBÄTRA im Lukas 21,11. Dieses übersetze ich mit "Schreckbilder". Die Dabhar-Bibelübersetzung sagt dazu " Furchtbarkeiten" und die Elberfelder- Übersetzung: "Schrecknisse". Innerhalb der sogenannten "Endzeit-Reden" von Jesus kommt PHOBÄTRA nur einmal vor und hinterlässt Rätsel. Welche "Darstellungen" er wohl mit PHOBÄTRA meinte? Etwa Himmelsbilder in Wolken und Wetter, oder irdische Bilder, die aus "heiterem Himmel" auftauchen und eindeutig nicht menschlicher Herkunft sind - wie die geheimnisvollen Kornkreise zum Beispiel? Bringen sie nicht viele Menschen zum ehrfürchtigen-fürchtenden Nachdenken?

Der Begriff PHOBOS im NT mutiert oft aus "Furcht" zu "Ehrfurcht" wie im Römerbrief 13,7 oder zur "Gottesfurcht", siehe Römerbrief 3,18. Die sprachliche Herkunft liegt im Verb PHEBOMAI. Es heisst ursprünglich "flüchten", dann "fürchten", auch im Sinne von "sich scheuen" und "Bedenken tragen, etwas zu tun". Es beinhaltet somit "Zurückweichen". Die Gottesfurcht hat zum Beispiel damit zu tun, dass Gott kein Kumpel ist. Sondern er ist eine grosse Autorität, vor der man naturgemäss zurückweichen sollte. Und nur - wie an einem Königshof - mit Zurückhaltung und Erlaubnis steht. Geschieht Gottesfurcht in dieser Haltung des sich-Gott-näherns, naht sich Gott zum Menschen (Jakobusbrief 4.8 ).

Adam dagegen floh vor Gott. Er vertauschte seine Gottesfurcht mit der Furcht vor Gott. Ängste trennen. Flieht vielleicht auch der moderne Mensch heute vor Gott, wenn er Ängste empfindet und ihnen ausweichen will?

THLIPSIS, die bedrängende Angst

Laut einem theologischen Wörterbuch ist das Wort THLIPSIS eine Art zweite Grundlage mit dem PHOBOS, um das Wesen der Ängste zu verstehen. THLIPSIS wird meistens mit "Trübsal" oder "Drangsal" ( Matth.13.21) übersetzt, in der Dabhar-Übersetzung stets mit "Drängnis". THLIPSIS steht öfter mit einem anderen Wort zusammen, das die "Drängnis" ergänzt - wie es im erwähnten Text von Matthäus 13,21 "Drängnis oder Verfolgung" heisst, im Römerbrief 2,9 "Drängnis und Raumenge", im 2.Korintherbrief 2,4 "Drängnis und Bedrücktsein des Herzens" und im 1.Thessonicherbrief 3,7 "Not und Drängnis".

Im 2.Korintherbrief 8,13 hat die "Drängnis" den Gegenpol ANESIS - "Ruhe", die ein "Loslassen, Nachlassen, Befreiung aus einer Notlage" bedeutet.

Die THLIPSIS - Drängnis drängt einem in ein Gefühl des Gefangenseins hinein, in der man von Umständen bedrängt unter Druck ist. Das dazugehörende Verb THLIBOO heisst "drücken", "drängen" - Jesus wurde in den Volksmengen fast "erdrückt" ( Markus 3,9).

Wie viele von uns Menschen fühlen sich wie erdrückt von den Verpflichtungen des Alltags, von der Not, die uns von mehreren Seiten bedrängend einengt und Versagensängste auslöst!

STENOCHORIA, die einengende Angst

Diese Angst ist eng verwandt mit der THLIPSIS. Die Dabhar Übersetzung (DÜ) nennt STENOCHORIA treffend "Raumenge", dagegen verwenden die Luther (LÜ) und Elberfelder (EÜ) Übersetzung - siehe im Römerbrief 2,9 - wieder das allgemeine Wort "Angst". Im Text von 2.Korinther 4,8 bringt die DÜ die bedrängende Angst gut mit der einengenden Angst zusammen: "..in allem Bedrängtseiende (THLIBOMENOI), jedoch nicht Engberaumtseiende (STENOCHOOROUMENOI)..." Und erwähnt dazu noch einen ähnlichen Zustand des "Ganglosseiend" (APOROUMENOI), auf das ich im folgenden Absatz näher eingehen werde.

Die Raumenge, die STENOCHORIA, könnte in unseren Gefühlen bei Schwachheiten körperlicher Natur oder ohnmächtig empfundenen Verfolgungs-Situationen vorkommen. So, denke ich, drückt sich Paulus in 2.Korinther 6,4 und 12,10 aus - und besonders im 2.Korinther 2,7-9. Dort gibt er uns Einblick in sein schwaches Menschsein, das er als sehr einengend empfindet. Aber er vermittelt uns auch, gerade in einer solchen Situation auf die überschwengliche Kraft Gottes zu vertrauen...

APORIA, die ausweglose Angst

Sich unmittelbar in einer unerwarteten Situation zu befinden, wie zum Beispiel in eine Grabkammer hineinzugehen und dann den erwarteten Toten nicht vorzufinden - so fühlt sich die APORIA an, die uns überfallende ausweglose Angst! So empfanden womöglich die Frauen, die in aller Frühe des Auferstehungsmorgens ins offene Felsengrab von Jesus gingen (Lukas 24,4). In APORIA-Angst zu sein, heißt eigentlich "ohne Mittel und Wege zu sein", eine "Ganglosigkeit" vor sich zu sehen.

Die Wortverwandschaftsgruppe um POROS herum ist weitläufig. Einige Beispiele: POROS bedeutet "Durchgang, Überfahrt, Furt, und Meerenge" aber auch "Brücke, Fahrwasser, Fluss und Weg" und dazu noch " Hilfsmittel, Geldquelle, Einkünfte und Erwerbung". Die nahestehenden Worte PERAS / PERAN heissen "Grenze" und "jenseitig, "anderes Ufer", die ebenso nahestehenden Worte EMPORIA / EMPOREOMAI bedeuten "Handel" und "wohlhabend sein" im Sinne von "gangbar sein", also "gehen können wohin man will, aufgrund des Reichtums".

Wenn im Griechischen ein "A" einem Begriff vorangestellt wird, entwickelt er sich meistens in das Gegenteil. Im Deutschen kennen wir dies mit "a-typisch" anstatt "typisch". Die A-PORIA-Angst hat - wie obenstehend schon bemerkt - demzufolge mit "Weg - oder (Durch)gangslosigkeit" in vielen essentiellen Lebensbereichen zu tun.

POROS, der Durchgang, erinnert auch an die Poren, unsere Durchgänge in der Haut. Wie oft steht man unvermittelt in einer scheinbaren ausweglosen Situation - und bald dringt die APORIA-Angst mit Angstschweiss aus einem heraus!

PTOÄSIS, die schreckhafte Angst

Im NT kommt die PTOÄSIS nur einmal vor. Petrus erwähnt sie in seinem 1.Brief Kapitel 3,6. Er bringt diese PTOÄSIS-Angst mit Sarah, der Frau Abrahams in Zusammenhang. Frauen werden hier gutes-tuende Kinder Sarahs genannt und aufgefordert, keinerlei Schrecken (PTOÄSIS) zu fürchten. In der Geschichte des Glaubens liegt die grosse Betonung stets auf dem gläubigen Abraham. Aber ohne Sarah gäbe es keine Geburt des Isaak. Ohne Sarahs Mut und Einsatz, trotz ihres hohen Alters noch zu gebären - mit allen Schrecken, die damit verbunden sind - gäbe es keinen Isaak. Ohne Isaak keine weitere Geschichte, die bis zur Geburt von Jesus führt. Ohne Geburt von Jesus keine Heilsvollendung. Sarah bekam deswegen ein Glaubensdenkmal im Hebräerbrief 11,11 gesetzt. Sarahs Leben ist eine starke Ermutigung für alle gläubigen Frauen heute, unbeirrt ihren jeweiligen Weg zu gehen. Frauen sind in der Fähigkeit der Gemütsbewegungen stärker als Männer - obwohl sie in Hinsicht auf den gesellschaftlichen Stand oft schwächer als Männer dastehen. Petrus meint in seinem Brief, dass sich die Frauen nicht zu leicht durch widrige Umstände erschrecken lassen sollen. Denn die Gemütsstärke der Frau könnte durch die PTOÄSIS, die schreckhafte Angst, leicht ins Wanken geraten - und dies ausgerechnet in weiblich starken Bereichen, die mit Hoffnung und Liebe und Leidenschaft zu tun haben.

Ängste versus Glaube

Falls Ängste in einem Urkonflikt zwischen Schöpfer und Geschöpf zu suchen wären, in dem sich sich eine Ehrfurcht vor Gott zu einer angstvollen Furcht vor Gott verwandelte (siehe die anfangs geschilderte Adamsgeschichte), so müsste die Auflösung des Konflikts zur Lösung der Angstzustände führen. Der Beziehungsbruch müsste rückgängig gemacht werden. Das Erlösungswerk von Jesus Christus stellte die Beziehung zum Schöpfer wieder her. Wer dies glaubt, steht selbst in dieser erneuerten Beziehung und kann sich - falls er das Bedürfnis hat - seinen Ängsten stellen. Es ist eine Herausforderung des Glaubens, ein eventuell langer Weg zurück zu Gott, der den Menschen auffordert: "Fürchte nicht, sondern glaube!" (Markus 5,36).

Definition des Glaubens

Glaube heisst PISTIS auf Griechisch. In diesem Wort steckt mehr als der "Glaube", der leider auch sinnentleert im Deutschen gebraucht wird - wie zum Beispiel: "ich glaube, wir sollten das anders machen" oder "ich glaube das Wetter bessert sich noch". Die Begriffe "Vertrauen, Zutrauen und Treue/Dranbleiben" bilden die Basis zum PISTIS Glauben. Die DÜ übersetzt "Glaube" mit "Treun" im Sinne einer Treuebindung an Gott. Somit heisst glauben: "wo vertraue ich Gott, was traue ich Gott zu und wie treu bin ich ihm, wie fest bleibe ich an ihm dran?"

Diese Definitionen des Glaubens zeigen auch die Schwierigkeit des Gaubens auf der personellen Ebene. So unterschiedlich wie ein Mensch Ängste empfindet und darunter leidet, so unterschiedlich erlebt er auch die Herausforderung der Angstüberwindung durch den Glauben.

Glaube, Hoffnung, Liebe

Der Gläubige, der unter Ängsten leidet, hofft stets auf Besserung und auf Überwindung der Furcht. Er weiss auch, dass Gott Liebe ist, und die Liebe schlussendlich als größte Kraft des Universums alles Negative besiegen wird. Aber der unter Angst leidende gläubige Mensch ist verschieden glaubensstark oder - besser ausgedrückt - erlebt den Glauben in gewissen Lebensgebieten stark und gesund und dennoch - auf einem Gebiet der Angst - schwach und sehr beeinträchtigend. Also sind Ängste, meiner Ansicht nach, kein Massstab für einen starken oder schwachen Glauben, sondern eine Glaubensherausforderung auf einem Teilgebiet des Lebens.

Verkürzte Ängste

Den auf einem Angst-Teilgebiet des Lebens schwachen Gläubigen sollte man annehmen wie er ist und keine Last des "mehr-glauben-müssens" auferlegen. Im Römerbrief 15,1 lese ich in der DÜ : "Wir schulden aber, wir, die Vermögensmächtigen, die Schwächen der Unvermögensmächtigen zu umfassen..". Hier geht es um ein Mitgetragen -und Verstandenwerden von solchen, die es nicht "vermögen", alles allein zu schaffen. Hier geht es um ein für sie mit-glauben und lieben, das ich im 1.Johannesbrief 4,18 wie folgt übersetze: "Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die auf die Vollendung zielausgerichtete Liebe wirft die Furcht hinaus, denn die Furcht erleidet Verkürzung. Der (sich) Fürchtende ist jedoch (noch) nicht in der zielausgerichteten Liebe vollendet worden." ((Zum besseren Verständnis: die Verkürzung (KOLOS) war eine als Strafe verübte Verstümmelung in der Antike.)) Darum brauchen viele Hilfe in einer liebevollen Begleitung, die Stück um Stück die Ängste verkürzt.

Liebe heilt

Der sich-fürchtende ist durch die Liebe Gottes immer auf dem Weg, mutiger und selbstbewusster zu werden. Auch wenn es sehr, sehr langsam voran geht. Auch wenn er wie ein "eingebildeter Kranker" wirkt. Auch wenn er als "Hypochonder" von weniger verständnisvollen Mitmenschen bezeichnet wird. Auch wenn sich die Ängste wie eine "chronische" Behinderung über Jahre hinweg zeigen sollten... Liebe verkürzt Angst und gibt Kraft zum Durchstehen. Liebe heilt.

Die Liebe, die immer vollendungsmässig auf das Ziel Gottes - die Herrlichkeit ohne jede Not - ausgerichtet ist, wird alle Furcht nach und nach reduzieren bis sie am Ziel der Heilung angekommen ist. Gott fragt den Menschen nicht mehr nur "wo bist du?".  Sondern er sagt: "Ich bin bei dir."